Aus den Feuilletons

Hakenkreuz und Tintenklecks

Das Ensemble und die Statistinnen der Aufführung von Daniel Kehlmanns "Die Reise der Verlorenen" stehen dicht gedrängt auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt in Wien
In "Die Reise der Verlorenen" bilden die Schauspieler das Bühnenbild. © Sepp Gallauer
Von Tobias Wenzel · 10.09.2018
In der "Welt" stellt der israelische Schriftsteller Assaf Gavron Überlegungen an über ein Computerstrategiespiel, das Hakenkreuze zeigt. Und die Süddeutsche Zeitung langweilt sich wegen des allzu braven Daniel Kehlmanns und seiner "Reise der Verlorenen".
"Spielt mit dem Hakenkreuz!" titelt die WELT zu ihrem Feuilleton-Aufmacher. Der Aufruf verwundert. Umso mehr, wenn man liest, wer diesen Artikel geschrieben hat: der israelische Schriftsteller Assaf Gavron, ein Jude. Zum ersten Mal darf das Hakenkreuz in einem in Deutschland vertriebenen Computerspiel verwendet werden, in "Through the Darkest of Times", einem Strategiespiel über eine Widerstandsgruppe in Nazideutschland. "Ich bin mir bewusst, dass Deutschland eines der vielen Länder auf dieser Welt ist, in denen ultranationalistische, rechte und an einigen Orten sogar neonazistische Gruppen stärker und einflussreicher werden", schreibt Gavron. "Und ich weiß auch, dass ein Teil ihrer Strategie darin besteht, die Geschichte der Nazizeit einschließlich ihrer Insignien umzuschreiben, doch ich kann nicht nachvollziehen, wie die Darstellung dieser Symbole in Videospielen diese Bemühungen unterstützen würde."

"Wir sollten mit Hakenkreuzen spielen"

Zu erzählen, was sich zugetragen hat, werde vielmehr dabei helfen zu garantieren, dass sich "die Geschichte so niemals wiederholen" könne. Assaf Gavron wendet nun, mit Blick auf Computerspiele, die oft eine Tiefe von Filmen und Romanen hätten, ein Zitat der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in ihr Gegenteil: "Wir sollten mit Hakenkreuzen spielen."

Abgesang auf Cumhuriyet

Vielleicht wird es mal ein Computerspiel geben, in dem Journalisten einer türkischen Zeitung tapfer gegen den eigenen Präsidenten die Pressefreiheit verteidigen. Nach den Ereignissen der letzten Tage ist nur die Frage, ob in einem Computerspiel die Zeitung noch den Namen "Cumhuriyet" trüge. "Das war es dann" hat Ali Çelikkan seinen Abgesang auf eben diese Zeitung genannt. Die Stiftung, die die Zeitung herausgibt, hat seit Freitag einen neuen Vorsitzenden. Der Chefredakteur und weitere Mitarbeiter mussten gehen, andere gingen freiwillig, die Zeitung rief einen Kurs aus, der "zur Aufklärung und den Reformen Atatürks zurückgekehrt" sei, erfährt man nun aus Çelikkans Artikel für die TAZ. Er erinnert daran, wie Ende Oktober 2016, wohl auf Betreiben Erdoğans, jedenfalls politisch motiviert, die Führungsriege der "Cumhuriyet" und weitere Mitarbeiter der Zeitung verhaftet wurden.

Cumhuriyet-Mitarbeiter sagten gegen eigene Zeitung aus

Aber nicht alle Kollegen hätten sich solidarisiert: "Nach Aufforderung der Staatsanwaltschaft sagte eine Gruppe alter und neuer Cumhuriyet-Mitarbeiter während des Prozesses gegen die eigene Zeitung aus. Darunter waren der ehemalige Mitarbeiter Alev Coşkun – genau jener, der am vergangen Freitag zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde – und Aykut Küçükkaya, der am Freitag zum neuen Chefredakteur gewählt wurde." Ali Çelikkan scheint keine Hoffnung mehr zu haben, lässt er doch seinen Artikel mit dem Zitat eines ehemaligen "Cumhuriyet"-Mitarbeiters enden: "Zwischen denen, die uns ins Gefängnis brachten und falsche Zeugen aussagen machten und jenen, die den Staat ausplündern und das Land ausrauben, besteht kein Unterschied."

Streber aus der ersten Reihe

Zum Schluss noch etwas eher Heiteres: "Wäre Stückeschreiben ein Schulfach, dann wäre Daniel Kehlmann der Streber aus der ersten Reihe", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutsche Zeitung. Er erwähnt, dass Kehlmann Gegner des Regietheaters ist und seit einigen Jahren selbst Theaterstücke schreibt: "Lauter intelligent konstruierte, in der Tradition des angloamerikanischen ‚well-made play‘ geschrieben Genre-Stücke. Sehr gut, Kehlmann, setzten!"
Der Journalist hat nun die Premiere von Kehlmanns viertem Theaterstück in Wien gesehen. "Die Reise der Verlorenen" handelt von der tatsächlich geschehenen Irrfahrt eines Luxusdampfers, in dem fast tausend jüdische Passagiere Nazi-Deutschland verlassen wollten. Der Bezug zur aktuellen Flüchtlingskrise liege auf der Hand. "Aber das Stück ist so brav und so sauber, dass man sich als Zuschauer einigermaßen unterfordert fühlen kann", urteilt der Theaterkritiker in seinem Verriss. "Manchmal sehnt man sich sogar heimlich danach, einer dieser fürchterlichen Regie-Berserker würde das schöne Stück zertrümmern. Oder zumindest ein paar Tintenkleckse reinmachen."