Aus den Feuilletons

Grundsätzliche Fragen des Daseins

04:11 Minuten
Fuminori Nakamura sitzt bei einer Lesung auf der Bühne.
Dem Autor Fuminori Nakamura bescheinigt die NZZ für seine Krimis weit mehr als nur Genreliteratur. © picture alliance / Henning Kaiser
Von Adelheid Wedel · 22.11.2019
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Die "Neue Zürcher Zeitung" hat sich mit sieben zeitgenössischen Krimis aus Japan beschäftigt. Diese gäben "tiefen Einblick in die Nachtseiten der Gesellschaft" und böten wegen ihrer Qualität Anlass, über die Hierarchien in der Literatur nachzudenken.
Mit Blick auf zeitgenössische japanische Kriminalromane kommt Michael Streitberg in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zu dem Schluss: Sie geben "tiefen Einblick in die Nachtseiten der Gesellschaft." Am Beispiel des literarischen Debüts von Fuminori Nakamura "Der Revolver" beschreibt er: "Was im Mantel des Kriminalromans daherkommt, ist die Chronik einer Obsession, die das beschädigte Leben eines jungen Mannes prägt und ihn schließlich in den Abgrund reißt."

Hierarchien in der Literatur überdenken

Tatsächlich widmet sich Nakamura im Roman grundsätzlichen Fragen des menschlichen Daseins und der Moral wie zum Beispiel: "Wann ist der Mensch in der Lage, scheinbar determinierte Bahnen seines Daseins zu verlassen? Und was veranlasst ihn wiederum, sich der nach innen und nach außen gerichteten Destruktion zu verweigern?"
Ähnliche Fragen stellt der Autor an sieben japanische Kriminalromane und resümiert: Werke wie "Der Revolver" böten erneut "Anlass, die Hierarchie von Hochliteratur und Genreliteratur zu überdenken."

Debütroman von Ulrich Tukur

Wer eigentlich ordnet Debütromane rasch in dieses oder jenes Schubfach ein? Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt uns zwei Erstlinge vor. Aus den USA kommt der Roman "Unverschämtes Glück" von Jamel Brinkley, den Ulrich Rüdenauer rezensiert. Er urteilt kurz, knapp und sehr positiv: "Zur offenen Diskussion in den USA über Männlichkeit und die körperliche Gefahr, in der Schwarze noch immer schweben, trägt Brinkleys feinsinnige Story bei."
Joseph Hanimann schreibt über Ulrich Tukurs Debüt "Der Ursprung der Welt": Der Autor habe "ein ausgeklügeltes Labyrinth aus Nazigeschichte, Psychothriller und Politfiktion angelegt. Bis hin zum Erzählstil" wirke das Buch "seltsam retrospektiv, als läse man einen Zukunftsroman im Rückspiegel."

Die USA vor mehr als 100 Jahren - ein Gulag

In der Tageszeitung DIE WELT nimmt uns Hannes Stein mit in die USA, um festzuhalten: "Kein anderes Land verdankt seinen Erfolg so sehr den Einwanderern. Kein anderes Land hat gleichzeitig so viel Reichtum produziert. Kein Land war Einwanderern gegenüber so abweisend und brutal." Die Vereinigten Staaten waren vor mehr als 100 Jahren, so schreibt Stein, "ein weit ausgedehnter Gulag, in dem flüchtende Schwarze mit dem Tod bestraft wurden - und gleichzeitig ein aufregendes politisches Experiment mit dem immer offener erklärten Ziel, ein demokratisches Gemeinwesen zu schaffen."
Bisher habe die amerikanische Republik jedes Mal die Kraft gefunden, sich zu korrigieren und auf den Pfad der Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. "Wird das auch dieses Mal gelingen?" fragt der Autor und: "Bleibt Donald Trump eine Episode, eine beschämende Ausnahme?"
Stein hat erfahren: "Die Amerikaner geben Geld aus, damit in Südasien und Afrika künstliche Großstädte nach dem Vorbild von Shenzhen in China entstehen: Auffangbecken für Menschen, die der Korruption und Gewalt in ihren Ländern entkommen und sich ein neues Leben aufbauen wollen." So könnte Amerika, meint Hannes Stein, "der Welt vielleicht doch noch den Weg zeigen, der aus dem finsteren Gefängnis von Rassenhass und autokratischer Herrschaft ins Offene führt."

Eine Gemeinschaft über den Tod hinaus

Die amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison starb am 5. August im Alter von 88 Jahren. "Es gehört zu den schönsten Traditionen des amerikanischen Geisteslebens", schreibt Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, "nach ein paar Monaten noch einmal zusammenzukommen, um einander zu versichern, dass die Gemeinschaft, die durch eine Person und ihr Werk gestiftet wurde, über den Tod hinaus bestehen bleibt."
In dieser Woche kamen Hunderte zum letzten Abschied in der New Yorker Kathedrale St. John the Divine zusammen, um erneut zu bekunden, "wie diese Frau und ihre Literatur sie frei gemacht hätten." Michael Ondaatje brachte es auf den Punkt: "Ihr Werk sagt ihnen, Du bist nicht allein."
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