Aus den Feuilletons

"Gorillas wollen sicher keine Menschenrechte"

Das knapp fünf Monate alte Gorilla-Baby Jengo ist im Leipziger Zoo unterwegs.
Gorilla-Baby Jengo im Leipziger Zoo © picture alliance / dpa / Foto: Hendrik Schmidt
Von Maximilian Steinbeis · 30.06.2014
Mensch und Tier – eine nicht immer konfliktfreie Beziehung mit der sich die "SZ", die "FAZ" und die "NZZ" beschäftigen. In der "Welt" kommt hingegen Dokumentarfilmer Errol Morris zu Wort, der wiederum mit Donald Rumsfeld gesprochen hat.
Was unterscheidet den Mensch vom Tier? Es ist, so Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG,"die Möglichkeit, etwas anderes zu tun als Eltern oder Erzieher vorschreiben. (…) Tiere pflanzen sich fort in rollierenden Populationen, die im Wesentlichen auf immer gleiche Weise existieren (…). Die Menschen sind Lebewesen (…), bei denen die Söhne mit den Bräuchen der Väter brechen können".
Im Brechen der Bräuche der Väter definiert sich die Generation, und das ist der Begriff, um den Peter Sloterdijk in seinem neuen Buch seine jüngste "Bestandsaufnahme der Neuzeit" baut, die – so SZ-Autor Seibt – mehr ist als das, nämlich "eine Übersicht zur intergenerationellen, bio-psychologischen Geschichte des Abendlands von der Vertreibung aus dem Paradies bis zur Vorstellung von seitwärts wuchernden ´Rhizomen` in elternlosen, familienfernen Gesellschaftskonzepten der Postmoderne".
Vom Ergebnis ist Seibt trotz manchen bedenkenvollen Kopfwiegens – "die Mittelstellung zwischen Geschichte und Biologie, die Sloterdijk dem Generationenbegriff zumutet, ist, vorsichtig gesagt, prekär"
am Ende doch derart hingerissen, dass er sich sogar stilistisch von Sloterdijk inspirieren zu lassen scheint: "Unter einer Kuppel von schimmernden Aphorismenmosaiken erklingt das trockene Sperrfeuer der Pointen".
Was umgekehrt das Tier vom Menschen unterscheidet, ist der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG einen langen Artikel wert, geschrieben vom langjährigen Direktor des Kölner Zoos Gunther Nogge. "Schützt die Tiere vor den Tierrechtlern!", ist er überschrieben. Die Menschenrechte verbieten, Menschen in Käfigen zur Schau zu stellen. Die Tierrechtler, über die sich Nogge so aufregt, fragen, warum wir diese Rechte an der Speziesgrenze abrupt aufhören lassen, zu Lasten derjenigen, die gleich hinter dieser Grenze kommen, der Gorillas beispielsweise. Zoodirektor Nogge fordert, diese Frage auf sehr direkte Weise beantworten zu lassen:
"Warum fragt eigentlich keiner die Gorillas, was sie wollen?"
Das hat er offenbar getan, und was sie ihm verraten haben, ist dies: "Gorillas wollen sicher keine Menschenrechte. Sie wollen nichts weiter als das Recht, Gorilla zu sein, ob in der Natur oder im Zoo."
Womit zugleich geklärt sein dürfte, warum man Administratoren zoologischer Erlebnisparks nur selten die Beantwortung diffiziler ethischer Problemfragen anvertraut. Ein adäquateres Maß an Kopfzerbrechen widmet dem Thema Tierethik die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, wo Thomas Macho Hilal Sezgins Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" rezensiert. Schon das Wort "artgerecht" findet der NZZ-Autor problematisch, impliziert es doch "die Gewissheit, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit nur für bestimmte Arten gelten".
Hilal Sezgins "kasuistische" Vorgehensweise, sich von diesem "Speziesismus" zu distanzieren, ohne dabei in misanthropische Fundamentalkritik an der Spezies Mensch zu verfallen, gefällt dem NZZ-Rezensenten gut, wenngleich ihm die "Utopie", das Zusammenleben von Mensch und Tier als "gleichberechtigte Bürger der ´Zoopolis`" zu organisieren, "ein wenig trügerisch" erscheint.
Dass indessen auch diesseits der Speziesgrenze Anlass besteht, sich gelegentlich um die Würde der Kreatur zu sorgen, daran erinnern uns Gestalten wie der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, mit dessen Namen wir die systematische Misshandlung irakischer Gefangener in Abu Ghraib verbinden.
Der Dokumentarfilmer Errol Morris hat Rumsfeld interviewt und gibt nun seinerseits im Interview mit der WELT über diese Erfahrung Auskunft. Was ihn in der Auseinandersetzung mit Rumsfeld am meisten überrascht habe? "Das Fehlen jeglicher Reflexion über das, was er getan hat". Rumsfeld, so der Filmemacher, habe erwähnt, "wie abgestoßen er von den Fotografien aus Abu Ghraib war. Ich fragte ihn, wieso. Er sagte: ´Die waren ja nackt`.“
Wie sehr sich immer der Mensch vom Tier unterscheiden mag, um Menschen metaphorisch zu charakterisieren, eignen sich Tiere wie nichts anderes. Rumsfeld, so Filmemacher Morris, "ist wie ein Tintenfisch, der tonnenweise Tinte versprüht, um sich im Wasser unsichtbar zu machen. Man sieht nur mehr die Tinte, seine Worte".