Aus den Feuilletons

Glanz und Elend bei den Salzburger Festspielen

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Foto aus der Salzburger "Elektra"-Aufführung: Zwei Frauen vor einem kargen Bühnenbild, jeweils am linken und rechten Rand der Bühne.
Die Salzburger "Elektra"-Aufführung in der Regie von Krzysztof Warlikowski war nach Ansicht des "FAZ"-Autors Jan Brachmann eine "Glanzleistung". © SF / Bernd Uhlig
Von Arno Orzessek · 08.08.2020
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Die Salzburger Festspiele trotzen Corona und die angereisten Gäste den Hygiene- und Abstandsregeln, wie in der "FAZ" zu lesen ist. "Wer weiß, wie lange sie dauern werden" – angesichts unmaskierter Fotografen und Last-Minute-Ticketverkäufen.
"Wird am Ende alles gut?" So lautete die Frage, mit der die Wochenzeitung DIE ZEITauf der Titelseite die Artikel zum 250. Geburtstag des Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel im Feuilleton bewarb. Laut Hegel wird am Ende tatsächlich alles gut, aber wirklich erst am Ende. Vorher jedoch treibt der sogenannte "Weltgeist" – Hegels berühmte superspekulative Denkfigur – die Geschichte ohne Rücksicht auf Verluste voran. Oder in den Worten von ZEIT-Autor Thomas Assheuer:
"Es ist vor allem das Negative, das den Weltgeist nach vorn in die Zukunft peitscht, sein Lebenselixier sind Gewalt und Zerstörung, es sind blutige Schlachten und große historische Feindschaften, die ganze mörderische Rivalität der Völker und Nationen. Ohne derartige Kämpfe träte der Weltgeist für Hegel müde auf der Stelle und gelangte nie an sein Ziel. ‚Der Weltgeist hat kein Schonen und kein Mitleid.‘ Er fegt das Individuum hinweg, und erst am Ende, nach seinem ‚notwendigen Gang‘ übers Gräberfeld der Geschichte, kommt er versöhnt zur Ruhe."

Die Explosionen in Beirut haben die Hoffnung zerstört

Bitter genug, aber in diesem Sinne wären auch die fürchterlichen Explosionen in Beirut irritationsfrei dem notwendigen Gang über das Gräberfeld der Geschichte zuzurechnen. Lena Bopp indessen betrauerte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNGdas, was im Staub der Explosionen untergegangen ist:
"Beim Gang durch diese Ruinen scheint unvorstellbar, wer die Verwüstung beseitigen, die Stadt wiederaufbauen und das alles bezahlen soll, was auch deswegen besonders tragisch ist, weil gerade auf diesen Vierteln an der Küste ein guter Teil des Mythos vom modernen Beirut gründete. Der Kampfgeist dieser Stadt, ihre Energie und ihr Freiheitsstreben waren hier spürbar wie nirgendwo sonst. Ihre zum Mittelmeer gewandte Seite ermöglichte und verkörperte eine Offenheit, die vieles denkbar machte, was an anderen Orten im Land und in der arabischen Welt unerhört ist. Die Explosion hat viel mehr hinweggefegt als diese Viertel. Sie hat die von ihnen ausgehende Hoffnung, ihre Symbolkraft zerstört."

Unklare Haltung der Linken zum Islamismus

Und da wir gerade auf dem Gräberfeld der Geschichte stehen: Unter dem Titel "Koran und Kalaschnikow" erläuterte die Schriftstellerin Ronya Othmann in der TAGESZEITUNG, "wie gefährlich der globale Herrschaftsanspruch des Islamismus" ist. Othmann beklagte, die Linke habe keine klare Haltung zum Islamismus und relativiere ihn oft zu einem Teil des antikolonialen Widerstands. Dann wurde die TAZ-Autorin konkret:
"Unter dem Banner ‚gemeinsam gegen rechts‘ werden Querfronten gebildet, wie bei dem Bündnis #Unteilbar, bei dem der Zentralrat der Muslime (ZDM) Erstunterzeichner ist. Zum ZDM gehören unter anderem der Verband der türkischen Kulturvereine in Europa, der den Grauen Wölfen zugerechnet wird, und das Islamische Zentrum Hamburg, das dem obersten Geistlichen des Irans untersteht. Man will möglichst divers sein, intersektional. Mit wem man sich eigentlich verbündet, ist oft zweitrangig, XYZ sei ja schließlich von Rassismus betroffen und man selbst Weißer oder Weiße, deswegen nicht in der richtigen Sprecher*innenposition."
Eine ähnlich kräftige Klatsche bekam die Linke von dem Großpublizisten Slavoj Žižek, der sich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über gewisse Teilnehmer auf "Black lives matter"-Demonstrationen erregte: "Die protestierende Linke ist doch gar keine Linke. Freunde aus New York berichten mir, dass die Weißen, die bei solchen Demonstrationen mitlaufen, praktisch ausschließlich der oberen Mittelschicht angehören. Sie wollen sich einfach ungern schuldig fühlen. Das ist ein typisches Phänomen: Nicht die Opfer der sozialen Ungerechtigkeit demonstrieren, sondern die Privilegierten. Und wann immer die Privilegierten auf so eine Weise demonstrieren, lügen sie."

Achille Mbembes nicht gehaltene Rede

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG kam der Philosoph Achille Mbembe zu Wort, der jüngst des Antisemitismus bezichtigt worden ist. Doch nicht darum ging es Mbembe in der SZ, sondern um die Wirkung von Pandemien: "Angesichts des Zustands der Erde besteht die Gefahr, dass bald weitere Pandemien auftreten. Da jede von ihnen letztlich die Möglichkeit unserer Vernichtung impliziert, werden sie große Ängste hervorrufen, begleitet von Aufwallungen der Irrationalität. Mehr noch, sie werden mehr denn je die Frage nach dem Recht auf Existenz aufwerfen, dem Recht auf Zukunft.
Dieses Recht auf Existenz wird immer weniger zu trennen sein von seinem Gegenpart: der Frage, wer die Ansteckung in sich trägt, wer also eliminiert werden kann, damit die Masse überlebt. Dass die scheinbar gesundheitspolitischen Entscheidungen letztlich das Überleben derer bedrohen, die unerwünscht sind, ist momentan das große Risiko." Düstere Ausblicke von Achille Mbembe.

Die Salzburger Festspiele trotzen Corona

Mag sein, dass Sie unseren Wochenrückblick bis hierher für eine Art "Abrechnung mit der Gesamtscheiße" halten – um eine Überschrift aus der Wochenzeitung DER FREITAG zu zitieren. Und selbst wenn wir nun zum Erfreulichen kommen, trotz Corona wurden die Salzburger Festspiele mit der Oper "Elektra" eröffnet - frei von Misslichem ist es nicht.
In der FAZ mokierte sich Jan Brachmann über das Festspielpublikum: "Je teurer das Tuch um die Hüften, desto geringer die Bereitschaft, eine Maske zu tragen (und wenn, dann eine aus alabastern schimmernder Krawattenseide). Ein Mann im blauen Lacoste-T-Shirt verschachert eilig Last-Minute-Tickets und durchkreuzt damit das Sicherheitskonzept des personalisierten Kartenverkaufs. Die Infektionskettenverfolgung ist schon im Ansatz perdu. Unmaskierte Fotografen und Fernsehkameraleute schieben sich, lüstern auf den nächsten Schuss, zwischen die Massen. Die Salzburger Festspiele 2020 haben begonnen, wer weiß, wie lange sie dauern werden." Immerhin: Die "Elektra"-Aufführung selbst – Regie: Krzysztof Warlikowski – nannte Jan Brachmann eine "Glanzleistung".
Und einen Tag später hieß es, in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Bei den Salzburger Festspielen sorgt die Dirigentin Joana Mallwitz mit ‚Così fan tutte‘ für das vollendete Mozart-Glück." Das war’s. Falls Sie übrigens Ihre Pläne für den weiteren Sommer coronahalber aufgeben mussten, beachten Sie bitte den Ratschlag, der in der TAZ Überschrift wurde: "Es nützt nichts, der Zukunft hinterherzutrauern."
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