Aus den Feuilletons

Gigantisch groß, opulent und laut

04:20 Minuten
Weiß vom Putzmittel ist eine Metallpfeife der Sauer-Orgel der Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach".
Pfeifenputzen für den guten Klang: Metallpfeife der Sauer-Orgel in der Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach" (Frankfurt / Oder). © picture alliance/dpa/Patrick Pleul
Von Ulrike Timm · 03.02.2021
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Die Orgel, das Instrument des Jahres 2021, wird auch von prominenten Filmbösewichten wie Dr. Jekyll oder dem Tintenfischmann Davy Jones in Fluch der Karibik gespielt. Darauf weist die "Zeit" hin - und feiert ein widersprüchliches Instrument.
Ob Podcast oder Sprachnachricht – überall lässt sich der Siegeszug einer "neuen Mündlichkeit" vernehmen, meint die ZEIT: "Es ist kein Zufall, dass zwei zentrale Begriffsformeln der politischen Debatten hierzulande perfekt zu dieser Mündlichkeit passen: 'Lasst uns miteinander reden' und 'Endlich eine Stimme geben'. Für beide Formulierungen wäre man vom politischen Establishment noch vor nicht allzu langer Zeit für unzurechnungsfähig erklärt worden. Heute kommt dieses Vokabular in fast jeder Rede des Bundespräsidenten vor", so Alexander Cammann.
Das gern beschworene, aber eben oft arg herausposaunte Prä des Sprich-wie-Dir-der-Schnabel-gewachsen-ist stutzt er dann auch gleich wieder zurecht. Von der angeblich allgegenwärtigen Dominanz des Mündlichen dürfe man sich nicht täuschen lassen, schließlich sei der Mensch ein komplett inkonsequentes Wesen und nicht zu unterschätzen, er wehre sich gegen allseitiges Geplapper.
"Wer sich in dem einen Moment von fixierten Buchstaben angestrengt und bedroht fühlt, sorgt im nächsten für Rekordumsätze auf dem Buchmarkt während der Pandemie und hört interessiert im Radio vorgelesenen, unaufgeregt argumentierenden Rezensionen zu." Letzteres ein Hieb gegen die Einstellung der morgendlichen Buchrezensionen im WDR, verbunden mit diesem Fazit: "Für ausreichend viele Gläubige bleibt es daher beim Credo: Es gilt das geschriebene Wort."

Die Orgel - ein widersprüchliches Instrument

Ebenfalls in der ZEIT finden wir unseren Lieblingssatz des Tages, geschrieben wie gesprochen: "Wer mit einer Zombiearmee die Weltmeere beherrscht, spielt in seiner Freizeit nicht Querflöte."
Rätsels Lösung: Die Orgel, das Instrument des Jahres 2021, ist auch das bevorzugte prominenter Filmbösewichte wie Dr. Jekyll oder Tintenfischmann Davy Jones in Fluch der Karibik. Ein widersprüchliches Instrument, das Hannah Schmidt da feiert. Die Orgel habe "das Potenzial, gigantisch groß, opulent und laut zu sein und klangliche Spektren zu erzeugen, die man – in der Höhe wie in der Tiefe – nur mehr fühlen, nicht eigentlich hören kann." Wer Lust bekommt, sich an der "Königin der Instrumente" zu versuchen, dem macht die ZEIT Mut: "Die Sache mit den Füßen mag kompliziert aussehen, aber das ist es beim Schlagzeug auch, und irgendwann geht es halt."

Der Urheberrechtsstreit als moderner Western

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG widmet sich dem Kabinettsbeschluss zum Urheberrecht und schwingt sich zu dem Vergleich auf: "Der Streit um Eigentum im Internet ist ein moderner Western!" Man staunt, geht es doch um unsinnliche 171 Seiten Juristenprosa, um den "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes".
Doch Andrian Kreye bleibt seinem Bild vom wilden Westen treu: "Dann wären Urheber und Netznutzer wie Cowboys und Nomaden, die sich darüber streiten, wie hoch der Zaun sein soll, und wo er verlaufen muss. Die Cowboys wollen natürlich nicht, dass ihre Rinder einfach abhauen. Die Nomaden wollen umherziehen und ihre Zelte aufschlagen, wo sie wollen. Das steht ihnen auch zu, weil sie Landbesitz nach ihrem Rechtsverständnis nicht kennen und die Prärie nun mal allen gehört."
Die Rinder sind in dieser Analogie die rechtlich geschützten Werke, die freilaufenden Büffel die rechtefreien. Und wie einigt man sich nun mit Blick auf all die Viecher - Pardon - von Autoren und Musikern erschaffene Texte, Audios und Videos im Netz? Die neuen Grenzwerte für freie Nutzung sind 15 Sekunden in Bild und Ton, 160 Zeichen und 125 Kilobyte.
"Klingt nach wenig, ist in Zeiten von Instagram und Tiktok aber viel", meint die FAZ: "Es reicht aus, um einen Song anzuspielen, eine Filmszene zu zeigen oder das entscheidende Tor bei einem Fußballspiel." Der Kompromiss sorgt trotzdem noch für viel Ärger – den einen ist das zu wenig, den anderen zu viel. "Die Schlacht ums Urheberrecht ist noch nicht vorbei", meint die FAZ, und um im Bild der Süddeutschen zu bleiben: Cowboys und Nomaden werden sich noch weiter zoffen!
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