Aus den Feuilletons

Gesänge vom Aufstieg durch Anstrengung

Flüchtlinge laufen auf einer Straße und passieren das Ortsausgangsschild von Budapest.
Hunderte Flüchtlinge verlassen Budapest zu Fuß in Richtung Österreich. © dpa / ZOLTAN BALOGH
Von Adelheid Wedel · 04.09.2015
Die Instrumente für eine "Weltinnenpolitik" liegen bereit, meint der Schriftsteller Lukas Bärfuss. Er findet es vollkommen nachvollziehbar und berechtigt, dass Menschen sich auf den Weg machen, um ihr Glück in fernen Ländern zu suchen.
"Die Freiheit, nach seinem eigenen Glück zu streben, ist einer der zentralen Werte unserer Gesellschaft", schreibt Lukas Bärfuss in der Tageszeitung DIE WELT. Als einer der wichtigsten Autoren der Schweiz nimmt er damit am aktuellen Disput um die Flüchtlingsproblematik in Europa teil. "Menschen werden sich niemals mit einem Leben begnügen, das keine Perspektive bietet", meint Bärfuss und bietet eine Erklärung dafür an: "Weltweit schauen Menschen die gleichen Clips, sie lesen dieselben Blogs, sie hören dieselben Gesänge vom Aufstieg durch Anstrengung. Warum sollten sie glauben, dass jene Botschaft nicht auch an sie gerichtet ist?", fragt der Autor. Er empfiehlt: "Eine moderne, kooperative und internationale Migrationspolitik, die mehr ist als ein Mittel, um den eigenen Arbeitsmarkt zu schützen, ist vernünftig." Optimistisch setzt er fort: "Der Anfang wäre gemacht. Die Instrumente für eine Weltinnenpolitik sind entwickelt."
Dass "menschliche Wanderbewegungen" keine absolut neue Erscheinung sind, belegt Herfried Münkler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG mit einem Blick zurück. "Wenn das Ursprungsgebiet des Menschen irgendwo in Ostafrika zu suchen ist, so waren es weitreichende Migrationsbewegungen, die zur Besiedlung des gesamten Globus geführt haben." Münkler leitet daraus ab: "Die Menschheit ist durch Migration zu dem geworden, was sie heute ist." Er bedauert, dass der "Zustrom von Migranten als Gefahr und nicht als Chance wahrgenommen wird. Die von Flüchtlingen hervorgerufene Angst ist bis in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen, die so gut wie nicht stressresistent ist", so seine Beobachtung. Oder anders gesagt: "Es sind satte, zumeist überalterte Gesellschaften, die sich einer als bedrohlich empfundenen Herausforderung stellen müssen, aber nicht stellen wollen."
In der Tageszeitung DIE WELT meldet sich Clemens Wergin mit Kritik sowie Forderungen zu Wort. "Wir leisten uns bis heute eines der dümmsten Einwanderungssysteme, die es weltweit gibt" - und daraus abgeleitet: "Deutschland muss viel besser steuern, wer im Land bleiben kann. Wenn wir nicht auf Bildung und Integrationsbereitschaft achten, wiederholen wir die Fehler der 60er Jahre." Wergin spricht deswegen von einem zweiten Versuch der Einwanderung. Er meint: "Aufs große Ganze gesehen, ist die erste Einwanderungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg keine Erfolgsgeschichte gewesen, weder in Deutschland noch in Europa... Im Nachhinein betrachtet, war es ein Fehler, im Wirtschaftswunder ungelernte Arbeiter aus den kulturell zurück gebliebendsten Gegenden ums Mittelmeer nach Europa zu verfrachten." Der Autor warnt: "Die Gefahr besteht, dass wir mit den Hunderttausenden, die nun vom Balkan und aus der muslimischen Welt nach Deutschland streben, die Fehler der 50er und 60er Jahre wiederholen." Er erwähnt, dass "unter den Flüchtlingen aus dem arabischen Raum 15 bis 20 Prozent Analphabeten sind" und kommentiert das: "Keine gute Nachricht für eine Hightech und Exportgesellschaft wie die deutsche." Er überlegt allerdings auch, "ja, die derzeitige Einwanderungswelle kann auch eine Chance für Deutschland sein. Aber nur, wenn die Entscheidungsträger den Bürgern das Gefühl vermitteln, dass sie einen Plan haben ohne die Fehler der Vergangenheit."
"Packen wir's an" lautet die tatkräftige Überschrift über dem Porträt des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio, das Andrea Seibel für DIE WELT verfasste. Wir sind neugierig, denn sie schreibt: "Sein Optimismus, was Deutschland anbelangt, überrascht." Wie kommt sie zu der Einschätzung? "Er glaubt an die Kraft der Kultur, an die Wiederbelebung des Renaissance-Humanismus. Nur der Mensch zählt, nicht Geschlecht, nicht Hautfarbe, nicht Herkunft." Anstatt immer so endzeitmäßig zu gründeln, schlägt er vor: "Wir sollten sagen: Wir sind eine Ingenieurnation, wir sind eine technische Nation. Packen wir's an. Man kann auch aus einer Krisenwahrnehmung eine Chance sehen. Wir sind doch eine kräftige Nation."
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