Aus den Feuilletons

Georges Pompidou ließ Satiremagazin verbieten

Jemand liest eine ältere Ausgabe von "Charlie Hebdo" mit einer Mohammed-Karikatur auf dem Titel.
Die Zeitschrift "Charlie Hebdo" © AFP/Martin Bureau
Von Klaus Pokatzky · 09.01.2015
In der TAZ erfahren wir, dass das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" früher einmal "Action" hieß. Unter diesem Namen war es 1970 verboten worden war. Und zwar vom französischen Präsidenten Georges Pompidou höchstpersönlich.
"Ich zittere noch immer. Aber ich nehme noch immer den Stift in die Hand."
Das schreibt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der chinesische Dichter Liao Yiwu, der in Berlin im Exil lebt. Er schreibt es „für die Kollegen von Charlie Hebdo“.
"Wir alle sollen mundtot gemacht werden",
lesen wir in der Tageszeitung DIE WELT zum Massaker in Paris mit seinen zwölf Opfern.
"Wir alle – Journalisten, Schriftsteller, Karikaturisten, Verleger und auch die Leser – sind mit 'Charlie Hebdo' zum Opfer geworden",
meint Richard Kämmerlings. Seit fast zwanzig Jahren darf ich nun hier den Blick in die Feuilletons werfen – noch nie war eine Kulturpresseschau so traurig.
35.000 Menschen in Nancy
"Am Donnerstag kamen 35.000 Menschen in Nancy zusammen",
lesen wir in der NEUEN ZÜRCHER. 105 000 Einwohnerhat Nancy.
"Viele von ihnen trugen Schilder oder Aufkleber mit der Aufschrift 'Je suis Charlie', einige hatten sich Schreibstifte ins Haar gesteckt – das Emblem der Karikaturisten",
schreibt Marc Zitzmann:
"Die Flaggen standen landesweit auf Halbmast, in der Kathedrale Notre-Dame de Paris läuteten die Totenglocken, um 12 Uhr wurde in allen öffentlichen Verwaltungsgebäuden und Schulen wie auch in vielen Privatbetrieben eine Schweigeminute eingelegt."
Überschrift des Artikels: 'Frankreichs 11. September'.
"Selbst in der U-Bahn wurde die Schweigeminute eingehalten",
berichtet Elise Graton in der Tageszeitung TAZ und zitiert ihren Vater:
"Im Altersheim auch!"
Es scheint die große Stunde des menschlichen Mitfühlens und der journalistischen Solidarität. Es scheint.
"Nach dem Mord an den Kollegen von 'Charlie Hebdo' wird leider gerade in der angelsächsischen Welt wieder munter Selbstzensur geübt",
erfahren wir aus der WELT. Ob der Telegraph in Großbritannien oder die New York Daily News und die New York Times in den USA:
"Sie zeigen das Mohammed-Bild, um das es geht, nur verpixelt – oder sie zeigen es gar nicht",
klärt uns Hannes Stein auf und zitiert einen Sprecher der New York Times:
"Nach den Standards der Times veröffentlichen wir normalerweise keine Bilder oder anderes Material, wenn die Absicht besteht, damit religiöse Gefühle zu verletzen."
Hannes Stein: "Das ist Feigheit, Selbstzensur, schrittweises Zurückweichen vor der Gewalt."
Patrick Bahners schließt sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG an:
"Dass die wahre Obszönität der mörderische Fanatismus ist, wird so verleugnet."
Ob das New Yorker Weltblatt wohl das große und bewegende Interview gebracht hätte, das in der TAZ zu lesen ist?
"Von Arschlöchern getötet"
"Es gibt eine berühmte Titelseite von Charlie Hebdo, in der Mohammed weint und sagt: Es ist schrecklich, von Arschlöchern geliebt zu werden. Ich sage: Es ist noch schrecklicher, von Arschlöchern getötet zu werden."
So Daniel Cohn-Bendit, ein Weggefährte der ermordeten Cartoonisten Wolinski und Cabu noch aus alten Achtundsechziger Tagen, als das Satiremagazin noch Action hieß. Dann starb 1970 der frühere Präsidenten Charles de Gaulle in seinem Heimatdorf Colombeyund Action brachte den Titel: "Tragischer Tanzabend in Colombey – ein Toter."
"Das bezog sich auf eine Katastrophe, die kurz zuvor in einer Disco passiert war",
erzählt Daniel Cohn-Bendit:
"Der damals regierende Georges Pompidou ließ das Magazin verbieten. Die heilige Kuh de Gaulle durfte man nicht auf die Schippe nehmen. Daraufhin benannten sie sich in Charlie Hebdo um."
"Hebdo" für Wochenzeitung und "Charlie" für de Gaulle. DIE WELT zitiert den deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani:
"Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei."
Und in der NEUEN ZÜRCHER verabschiedet sich der chinesische Dichter Liao Yiwu von unseren Kollegen von Charlie Hebdo:
"Vielleicht werde ich weiter zittern, vielleicht noch lange, aber ich werde weiter meinen Stift in die Hand nehmen."