Aus den Feuilletons

Gendern als sexistische Praxis

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Eine Gliederpuppe zwischen Piktogrammen von Mann und Frau und Sprechblasen mit einem Gendersternchen und den drei Geschlechtern w/m/d.
Geht es beim Gendern um Gerechtigkeit oder um Genitalien? Das fragt sich die Schriftstellerin Nele Pollatschek. © imago images / Christian Ohde
Von Klaus Pokatzky · 29.08.2020
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Nele Pollatschek ist keine Schriftstellerin, sondern ein Schriftsteller. Sie möchte nämlich nicht gegendert und damit letztlich sexualisiert werden, lesen wir im „Tagesspiegel“.
"Wer keinen Spaß versteht, der nimmt sich und seine Sache tendenziell zu ernst", rief uns der SPIEGEL in diesen manchmal doch recht traurigen Zeiten zu. "Humor hilft, die Gesellschaft weiter zu öffnen. Ein bisschen Spaß muss sein." Und manchmal lässt der sich ja auch mit Ernsthaftigkeit durchaus verbinden.
"Ich gendere nicht, ich möchte nicht gegendert werden", lesen wir im TAGESSPIEGEL vom Sonntag – in sprachlich korrekten Zeiten, wo bei jedem männlich klingenden Wort auch noch die gendergerechte weibliche Form zu verwenden ist.

Nele Pollatschek: Deutschland ist besessen von Genitalien

"Gendern ist eine sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen", meint nun aber die Schriftstellerin Nele Pollatschek, die sich selbst lieber als "Schriftsteller" bezeichnet.
"Wer aus meinem ‚Schriftsteller‘ ein ‚Schriftstellerin‘ macht, kann auch gleich ‚Vagina!‘ rufen. Das hat den gleichen Informationswert, wäre aber komischer und aufrichtiger und mir deutlich lieber." Und so wird denn die Schriftsteller Nele Pollatschek spaßig ernsthaft:
"Wenn es mich nicht gerade traurig macht, kann ich einen gewissen Humor darin entdecken, wie besessen Deutschland von Genitalien ist. Denn mit wenigen Ausnahmen geht es beim Gendern um Genitalien, nicht notwendigerweise um die, die wir sehen, aber um die, von denen wir denken, dass sie da sind."

Bussi, Bussi oder Ellbogencheck

Und damit zu den Kerlen. "Seit den neunziger Jahren war es vor allem unter Männern in Mode gekommen, sich statt eines verklemmten Nickens oder eines formellen Handschlags zur Begrüßung zu umarmen und mit krachenden Schlägen auf die Schultern ihrer Sympathie und Männlichkeit zu vergewissern", macht uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG darauf aufmerksam, dass der Mann auch lernfähig ist und inzwischen Gefühle locker zeigen kann. Jedenfalls bis Corona kam, von der die männliche Form noch geschaffen werden muss.
"Experten zeigen sich besorgt, dass die schöne, typisch mediterran-optimistische Sitte, Begegnungen damit beginnen zu lassen, wohin sie in kälteren, skeptischeren Ländern meist nur im besten Fall kommen, mit Umarmung und Kuss, endgültig verschwinden und längerfristig durch ungelenke Gesten wie den schauderhaften Ellbogencheck ersetzt werden könnten", warnt uns in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG jetzt schon Niklas Maak.

Wie Corona das Theater verändert

"Es wird im Theater zu massiven Veränderungen kommen", stand im TAGESSPIEGEL zu anderen Bedrohungen durch Corona beziehungsweise Coronus, um sprachlich korrekt zu sein. "Im schlimmsten Fall kann die Pandemie dazu führen, dass es für die nächsten zwanzig Jahre keine kollektiven Künste mehr gibt, so wie wir sie kennen", sagte der Theatermacher Matthias Lilienthal im Interview – und entwickelte schon mal Alternativen:
"Es sind ja andere Dinge möglich. Ich denke an die verspielten Formate, in denen man sich in kleinen Gruppen interaktiv durch die Stadt bewegt. Dahinter steht die Frage, wie man Nähe trotz sozialer Distanz herstellt."

Wo ein Huster ist, ist garantiert ein zweiter

Auf jeden Fall gibt es dann unter freiem Himmel ein Problem nicht: "Wahrscheinlich husten Menschen im Theater mehr und immer an den falschen Stellen", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zu einem ewigen Geräuschkonzert vor der Bühne.
"Mit dem Einlass geht es schon los", schreibt Vasco Boenisch. "Während minutenlang Zeit wäre, sich im allgemeinen Gemurmel ungestört die Seele aus dem Leib zu röcheln, ist es, als wartete man darauf, dass das Saallicht erlischt, die Gespräche versiegen und jene stille Spannung entsteht, was gleich auf der Bühne geschieht – um dann beherzt loszuhusten. Und wo ein Huster ist, ist garantiert ein zweiter, und aller guten Huster sind drei." Oder gleich ein halber Saal.

Der drohende Zeigefinger als neues Wappen

"Ich brauche keinerlei Belehrungen von Musterschülern jeglicher Art", meint da noch ein Theatermensch. "Ich war einer der Ersten, der heiter die Maske trug. Demütig schaue ich auf meine schwindenden Einkünfte und meine schrumpfenden Rücklagen: Wird schon", schreibt der Regisseur Leander Haußmann in der WELT AM SONNTAG.
"Würden wir heute ein neues Wappen suchen, das den Bundesadler ersetzt, so wäre es der drohende Zeigefinger", empfindet er aber mit zunehmendem Unbehagen, wie die Pandemie unsere Gesellschaft verändert. "Neue Maßnahmen braucht das Land und sie werden Tag für Tag verkündet. Ohne jegliche Empathiebekundung, ohne tröstende Begleitworte. Aber der Ton macht die Musik."

In der Bahn ist alles beim Alten

Und ist denn gar nichts mehr so wie früher, vor Corona und Coronus? "Eng, enger, Zugfahren. Ein Selbstversuch mit Maske zeigt: In der Bahn ist alles beim Alten", erfuhren wir da aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
"Eine alte deutsche Tradition ist es, gleich nach Betreten des Zuges Proviant auszupacken", schrieb Paul Jandl nach der Zugfahrt mit Maske. "Schon beim Niedersinken der Passagiere landet der Altherrensnack gekochtes Ei auf den Klapptischen. Verliebte Göttinger Studenten wühlen sich gegenseitig in ihren Salaten."
Gendersensibel, wie wir jetzt sind, dürfen wir da feststellen, dass es sich dabei offenbar um schwule verliebte Studenten handelt. Oder sind das jetzt Fake News?
"Wenn etwas am Auftritt einer Person fake wirkt, ist es nicht komplett gelogen, aber eben doch arg manipuliert", stand in der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Fake, das ist also immer auch eine Frage der Perspektive", meinte Nina Pauer – und wir enden ganz unverfälscht mit Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER: "Na denn! Gute Nacht!"
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