Aus den Feuilletons

Gedanken vom Rand des Swimmingpools

05:51 Minuten
Elizabeth Taylor sitzt in einem Swimming Pool. Auf Ihrer rechten Hand sitzt ein grüner Papagei. Das Foto ist 1989 für die Vanity Fair in Los Angeles entstanden.
Für die Vanity Fair fotografierte Helmut Newton 1989 Elizabeth Taylor mit Papagei. © Helmut Newton Estate
Von Arno Orzessek |
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In der „Neuen Zürcher Zeitung“ behauptet Sarah Pines, „am Swimmingpool werden wir zu denen, die wir gern wären“. Dazu müsse man auch gar nicht schwimmen können. Pools seien nämlich Orte der Metamorphose, des ungezwungenen Andersseins.
Frage vorab: Gehören Sie auch eher zu den Pessimisten? Glauben Sie, dass die Menschen eine vermurkste Spezies sind, die sich über kurz oder lang selbst den Garaus bereiten wird? Gut möglich, dass Sie richtig liegen! Aber gerade deswegen wollen wir Sie mit der TAGESZEITUNG teilhaben lassen an der Wirklichkeit einer Utopie, die als solche natürlich ein sprachlogischer Selbstwiderspruch ist. Aber egal, kommen wir zur Sache!
Der TAZ-Autor Jan Paersch war mit 70.000 weiteren Besuchern auf dem berühmten Fusion Festival im mecklenburgischen Lärz, hat sich tief berühren lassen und berichtete hinterher:
"Die Fusion zeigt: Eine andere Welt ist möglich. Eine Welt ohne Handyempfang, in der keiner Tiere isst und köstlichstes Essen dennoch jederzeit erhältlich ist, eine Welt mit geringsten Verboten, die dennoch stressfrei funktioniert: weil sie eine Welt der Rücksichtnahme ist. Eine Welt, in der jede im geringeren Tempo unterwegs ist und dabei Ziele neu justiert. Eine Welt, in der man sich auch einmal daneben benehmen kann, solange man dabei keinem anderen schadet. Eine weniger pünktliche Welt mit schmutzigen Füßen und sehr viel Bass."

Der Pool macht schön

Aber man muss gar nicht das Fusion Festival besuchen, um die unausgeschöpften Möglichkeiten unseres Daseins kennenzulernen. "Am Swimmingpool werden wir zu denen, die wir gern wären", behauptete Sarah Pines in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Ihre Begründung dürfte Hedonisten restlos überzeugt haben:
"Der eigene Pool macht unabhängig. Schon am Vormittag kann man Besuchern ohne Scham Drinks anbieten. Nichts klingt weicher, als wenn sich das Klingen der Eiswürfel im Glas mit dem Platschen des Wassers vermischt. Der Pool macht schön. Im Garten sitzen Bikinis weniger satt als beim öffentlichen Schwimmen, das Gefühl gallertartiger Körperfülle gibt es nicht und die unruhigen inneren Fragen auch nicht. Pools sind Orte der Metamorphose, des ungezwungenen Andersseins. Hier geht es nicht um die ‚bella figura‘. Man muss gar nicht schwimmen, um glücklich zu sein. Es reicht, selbstvergessen auf der Luftmatratze zu gondeln oder einfach so den toten Mann zu spielen."
Bevor jetzt jemand denkt: "Boah, ist die dekadent! Ich habe noch nicht mal einen eigenen Balkon‘, versichern wir: Die NZZ-Autorin Sarah Pines hat in ihrem schönen und klugen Artikel "Da vergeht die Furcht vor der Zeit" mit keinem Wort bestritten, dass es auch ohne eigenen Swimmingpool gelingendes Leben gibt.
Aber verlassen wir die Komfortzone. Kommen wir vom Pool zum Meer und von den Cocktail-Schlürfern zu denen, die vom Ertrinken bedroht sind. 53 von ihnen hat Carola Rackete, die deutsche Kapitänin der Sea Watch 3, vor einigen Tage an Bord genommen und dann, trotz Einlauf-Verbot, im Hafen von Lampedusa festgemacht.

Ziviler Ungehorsam…

In der Wochenzeitung DIE ZEIT verbat sich die italienische Philosophin Donatella di Cesare jeden Zweifel daran, dass Rackete recht getan hat:
"Die Pflicht zum Ungehorsam gilt nicht nur für tyrannische oder totalitäre Systeme. Sie ist das Salz der Demokratie. Die Bürger sind keine Untertanen. Sie brauchen ein Gesetz, das die verfassungsmäßigen Grenzen überschritten hat, nicht unterwürfig zu akzeptieren. Als ob es natürlich wäre, die Rettung zu einem Straftatbestand zu machen! Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, die Ethik auf den Kopf zu stellen: Wer sich dazu verpflichtet, Menschenleben zu retten, macht sich schuldig, wenn er dies unterlässt. Eine Umkehrung ist nicht akzeptabel."
"Lebensrettung begründet keine vorauseilende Generalamnestie", betonte dagegen der Theologe und Philosoph Richard Schröder in der Tageszeitung DIE WELT.

…oder Rechtsbruch?

"Wenn ein deutscher Kapitän beliebigen Geschlechts das Verbot, in einen Hafen zu fahren, missachtet und ein italienisches Zollboot bedrängt, ist das unzweifelhaft Widerstand gegen die italienische Staatsgewalt und strafbar. Wenn er oder sie ohne Genehmigung Ausländer in den Hafen bringt, ist das zweifellos Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Der italienische Innenminister Salvini, dem meine Sympathie nicht gehört, fragt nicht zu Unrecht, warum ein in den Niederlanden registriertes und von einer deutschen Besatzung betriebenes Schiff die Schiffbrüchigen nicht in die Niederlande oder nach Deutschland transportiert. Warum eigentlich nicht?"
Von der Härte der Zeitgeschichte zu den Umtrieben des Zeitgeistes. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG machte sich Nicolas Freund Gedanken "zur Problematik des Begriffs ‚toxische Männlichkeit‘".
Toxisch nennt man heutzutage laut Freund diejenigen Männer, die "übertrieben dominant und sexuell aggressiv auftreten". Freund widersprach indessen dem Trend, toxische Maskulinität vergleichbar der Hysterie im 19. Jahrhundert als Krankheit zu begreifen.

Ist toxische Männlichkeit eine Krankheit?

"Denn es ist nicht so", meinte Freund, "dass sich ein Einzelner nicht gegen dieses Verhalten wehren könnte. Konservative und toxische Männlichkeitsideale können eine Rolle spielen für Übergriffe und Missbrauch, sie müssen das aber nicht zwangsläufig. Rollenbilder, die ein bestimmtes Verhalten vorgeben, werden von der Gesellschaft auferlegt. Sexuelle Übergriffe sind jedoch eine bewusste Ausnutzung von Privilegien und Machtpositionen. Sich so zu verhalten, ist eine freie moralische Entscheidung jedes Einzelnen – und keine Frage der Gesundheit".
Definitiv untypisch für toxische Männlichkeit sind Entschuldigungen. Dabei ist es zumindest auf Twitter gerade total angesagt, sich rasch zu entschuldigen. Das behauptete jedenfalls Caroline Fetscher im Berliner TAGESSPIEGEL.
Leider können wir Fetchers Argumente hier nicht mehr ausbreiten, denn wir haben unser Zeit-Quantum verbraucht. Dafür aber möchten wir uns mit der Überschrift des TAGESSPIEGELS entschuldigen und sagen: "Sorry, sorry, sorry, sorry."
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