Aus den Feuilletons

Fußball als Dauerwerbesendung

Die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am 10.11.2014 in Berlin zur Weltpremiere des Films "Die Mannschaft".
Die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am 10.11.2014 in Berlin zur Weltpremiere des Films "Die Mannschaft". © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Gregor Sander · 10.11.2014
Thomas Müller im Dirndl und Mario Götze beim Tischtennis - das zeigt die Dokumentation "Die Mannschaft", die vom DFB produziert wurde. Der Film, der jetzt im Kino läuft, soll Nähe suggerieren. Doch vieles löst er nicht ein, meint die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
"Die ´Journaille` bestehe im Wesentlichen aus ´Presskötern`, ´Presshyänen` und ´Fanghunden der öffentlichen Meinung`."
Diesen Satz schreibt nicht etwa Hans Leyendecker in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, er zitiert hier nur Karl Kaus, der vor etwa hundert Jahren die Menschen ´entjournalisieren` wollte. Dem SZ-Autor geht es um das Gegenteil:
"Medienverdrossenheit ist, derzeit zumindest, en vogue, schreibt er, und sie ist auch gut für die Auflage von Büchern. Sehr unterschiedliche Werke wie die Abrechnung des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mit Medien, Thilo Sarrazins Krämereien in ´Der neue Tugendterror` und das Absurdistan-Buch des Udo Ulfkotte über ´Gekaufte Journalisten` kletterten oder klettern in den Bestsellerlisten nach oben."
Besonders Ulfkottes Buch macht Leyendecker wütend:
"Ein ernsthaft betriebener Faktencheck von Ulfkottes Werk, das diesen fettranzigen Geruch der großen Verschwörung mit all dem Geheimdienstgedöns verströmt, würde vermutlich nur noch die Buchdeckel und ein paar wenige Seiten übrig lassen. Es lohnt wirklich nicht."
Ernüchtert und ernüchternd kommt der leitende politische Redakteur der SZ zu folgendem Ergebnis:
"Es gibt Defizite bei den Medien und es gibt Defizite bei den Lesern. Es ist nicht leicht, Leute zu finden, die etwas Neues zu sagen haben und es gibt nicht so viele Leute, die etwas Neues erfahren wollen. Das war so, das ist so."
König Fußball im Kino
Wenig überrascht zeigt sich Peter Körte in der FRANKFURTER ALLGMEINEN ZEITUNG vom Film "Die Mannschaft". Darin wird vom Gewinn der Fußballweltmeisterschaft durch die deutschen Nationalmannschaft erzählt:
"´Die Mannschaft`ist halt kein Dokumentarfilm. Es geht um Hagiographie, um die Reproduktion eines Gefühls, um Gedächtnisstützen vielleicht auch für diejenigen, welche im Vollrausch auf der Fanmeile das eine oder andere Detail verpasst haben."
Nationalspieler Bastian Schweinsteiger in einer Szene in dem Dokumentarfilm "Die Mannschaft".
Nationalspieler Bastian Schweinsteiger in einer Szene in dem Dokumentarfilm "Die Mannschaft".© Foto: Constantin Film
Das Hauptproblem sieht Körte in der fehlenden Unabhängigkeit der Macher:
"Der Film trägt das offizielle Siegel der Fifa, der DFB hat sich als Produzent betätigt, und statt eines Regisseurs hat der Film einen Kameramann (Martin Christ), einen Redakteur (Ulrich Voigt), einen Cutter (Jens Gronheid), die im Auftrag des DFB gearbeitet haben."
So kann man zwar Thomas Müller im Dirndl sehen, Mario Götze beim Tischtennis in Superzeitlupe, Christoph Cramer singend und immer wieder Tore, Tore, Tore. Trotzdem ist das Urteil in der FAZ vernichtend:
"Das nennt man Imagefilm. Große Konzerne produzieren so etwas – nur dass sie diese Filme nie ins Kino (oder sogar, wie diesen bereits im Dezember, noch ins Fernsehen) bringen."
85. Geburtstag von Hans Magnus Enzensberger
An diesem Dienstag wird Hans Magnus Enzensberger 85 Jahre alt und die Neue Zürcher Zeitung gratuliert mit einer Rezension seines neuesten Buches "Tumult", eine Art Selbstgespräch über die Jahre 1967-1970.
"Die öffentliche Seite seiner Vita glaubt man zu kennen",schreibt Martin Zingg, Enzensberger publiziert in jenen Jahren stark beachtete literarische und politische Essays, er übersetzt, vermittelt, ediert, er hält aufrüttelnde Reden und ist buchstäblich auf der ganzen Welt unterwegs – aber erstaunlicherweise ist er, der deutsche Vorzeigeintellektuelle jener Jahre, nur selten in Deutschland."
Harald Jähner von der BERLINER ZEITUNG widmet sich Enzensbergers Verhältnis zu den 68ern.
"Verwunderlich ist, dass er nicht, wie so viele seiner gereiften Ex-Genossen, die Revolte mit einer Verachtung schildert, als wäre er gar nicht dabei gewesen. Gewidmet ist das Buch ´Den Verschwundenen`. Darunter sind die unzähligen Opfer in der Sowjetunion und in Kuba zu zählen, aber auch Anstifter wie Opfer der großen Unruhe in Westdeutschland: ´Oft waren das Leute, die in mehr als einem Sinn selbstlos waren: Sie nahmen weder auf sich noch auf andere Rücksicht und rissen ihre arglosen Anhänger mit ins Verderben` – in den Drogensumpf, in die Psychiatrie, in den Selbstmord."
Eine Gedichtzeile des jungen Enzensbergers kann sich Jähner dann aber doch nicht verkneifen: "´lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne: sie sind genauer`".
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