Aus den Feuilletons

Furchteinflößender Ritt auf der Rolltreppe

Besonders bekannt: die Rolltreppe im Atomium in Brüssel.
Die Rolltreppe im Brüsseler Atomium © imago/wolterfoto
Von Ulrike Timm · 15.01.2018
Die "Süddeutsche Zeitung" analysiert das private Heim und die hiesige Gemütlichkeit, die auf 15.000 Jahren Sesshaftigkeit beruht. Letztlich hat diese wohl auch die Rolltreppe hervorgebracht, deren betreten vor 125 Jahre offenbar noch eine Mutprobe war, schreibt die "Neue Zürcher Zeitung".
Oh je, wie spreche ich denn das jetzt?!
Jedenfalls ist es ein Zitat aus der TAZ: "Ob Binnen-I, Gender-Sternchen oder Unterstrich, ob Profssx oder Studierende: Deutsche Leser*innen und Schreiber_innen haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, Sprache gendergerecht zu benutzen." ... Uff, ich bin durch...
Die TAZ untersucht, wie das in anderen Ländern aussieht. Das Türkische z.B. braucht all die Sternchen und Striche nicht, weil "Pronomen oder Nomen genderfrei sind. Mit einem schlichten o kann er oder sie gemeint sein, kann von einer Krankenschwester, einem Krankenpfleger, einer Krankheit oder aber von einer kranken Sau gesprochen werden". Sagt die TAZ. Gendergerechtes gesellschaftliches Denken verspricht die gendergerechte Sprache allerdings gar nicht…

Ein Kurs in gendergerechter Sprache

Im Französischen behilft man sich mit einem kleinen Punkt – sieht irgendwie eleganter aus als ein großes I oder ein Unterstrich – und trotzdem wird die maskuline Dominanz in der Sprache verbissen verteidigt: Eine Abgeordnete etwa ist Madame le député
Die SchwedInnen halten es von jeher neutral bei den Berufsbezeichnungen, Bonde heißt Bauer wie Bäuerin, und die entsprechenden Fernsehsendungen dann eben Bonde söker fru und Bonde söker man.
Die TAZ gestaltet den kleinen Kurs sehr liebevoll mit kleinen Comics auf einer großen Seite…. Und, das erwähnen wir noch: richtig schwierig wird es im Hebräischen. Da ist zwar grammatikalisch alles gegendert – bloß wird "nahezu ausschließlich die männliche Form angewandt", und sprachlich ist das auch richtig. Bedeutet aber: "Sobald auch nur ein Mann zur Gruppe gehört, von der gerade die Rede ist, helfen Tausend Frauen nicht, um die weibliche Pluralform zu rechtfertigen." Mist…
"Die Regel zu ignorieren, ist der einzige Weg des Protestes." Lesen und üben können Sie all das in der TAZ.

Handwerkliche Gemütlichkeit - aus asiatischer Massenproduktion

"Das Wohnen ist der Grundzug des Seins". Das klingt auch nicht einfach, stammt aus der Feder des Philosophen Martin Heidegger und steht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Johan Schloemann analysiert das private Heim, das vielen Menschen Heimat ist, als Rückzugsort mit zusehends regressiven Zügen.
Einfach alles viel zu gemütlich hier, 15 000 Jahre Sesshaftigkeit hinterlassen eben Spuren. Zum Beispiel "hygge", den derzeit grassierenden skandinavischen Gemütlichkeitskult. Der kommt zwar mit Kerzen und Naturmaterialien daher, aber "die Deko-Imperien bedienen die Sehnsucht nach handwerklicher Glaubwürdigkeit und lassen massenhaft in Asien produzieren."
Gar nicht hygge, aber die Überschrift des lesenswerten Artikels ist schön: "Kuscheln extrem" –perfekt gender!

Konzert mit zerschellendem Klavier

"Mit ohrenbetäubendem Lärm zerschellt das Klavier, als es auf dem harten Betonboden aufschlägt – vielleicht hat es ein Pianist vor Wut einfach aus dem Fenster geworfen".
Das klingt gar nicht gut. Und steht im TAGESSPIEGEL. Glücklicherweise belässt es der dänische Komponist Simon Steen-Andersen bei einem zerdepperten Instrument, macht aus dem Sturz einen Film in Superzeitlupe und stellt das Video seinem neuen Klavierkonzert voran. Das steht in reinstem C-Dur, und dem Flügel passiert – außer Musik – nix weiter.
Das Werk wird beim Neue-Musik-Festival Ultraschall zu erleben sein, und weil dieses Festival weder so verschwurbelt-verspannt wie oft Donaueschingen daherkommt noch Neue Musik populistisch zum perfekt konsumierbaren Anything Goes degradiert, weisen wir gerne darauf hin, dass es in den nächsten Tagen in Berlin sehr viel Neue Musik gibt. Und weil wir als Rundfunkanstalt, pardon, das Festival mit veranstalten, freuen wir uns natürlich, pardon, auch ein wenig über den dicken Artikel im TAGESSPIEGEL
Kurzer Verweis noch auf ein Jubiläum – die Neue Zürcher Zeitung gratuliert der Rolltreppe zum 125. Geburtstag. Die breitete sich bald in den Warenhäusern aus, anfangs wohl zum Schrecken der Kunden.
"Bei Harrods reichte man den einkaufenden Damen und Herren Riechsalz und Brandy, wenn sie nach der furchteinflößenden Fahrt auf dem Förderband wieder festen Boden unter den Füßen hatten."
Frauen Riechsalz, Männern Brandy…Das ist weder gender noch hygge, und trotzdem wären wir gerne dabei gewesen….
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