Aus den Feuilletons

Furcht vor der Erschaffung eines neuen Homo sapiens

04:22 Minuten
Eine Frau steht vor einer Bildtafel mit Hologrammen, die verschiedene Stufen in der Evolution des Menschen zeigen.
Die "FAZ" fürchtet, dass die Manipulation menschlicher Gene künftig freigegeben werden könnte. © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Von Arno Orzessek · 10.05.2019
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Die "FAZ" kritisiert die freizügige Stellungnahme des Ethikrats zu Eingriffen in die menschliche Genetik. Damit sei das Tabu der Unantastbarkeit der Evolution des Menschen gebrochen, schreibt Joachim Müller-Jung.
Mit dem Polarisieren ist es in unseren Tagen ja so: Die einen finden es nervig und destruktiv, die anderen finden es gut. Gut findet es zweifellos Jan Böhmerman. Sie wissen schon, das ist der TV-Satiriker, der so gern auf dem verwaisten Thron Harald Schmidts säße.
Aber wie ist es mit Kritik an dem Polarisierungs-Profi Böhmermann selbst? Die polarisiert natürlich erst recht, quasi doppelt-gemoppelt. Weshalb wir annehmen: Einige von Ihnen werden Joachim Huber im Berliner TAGESSPIEGEL innerlich Beifall klatschen, andere werden buh! rufen.
Huber regt sich nämlich – ohne konkreten Anlass – über das auf, was er den "Abstieg Jan Böhmermanns" nennt. "Er hat sich zum Satire-Trump, zum Twitter-Zombie verschlechtert. Der von sich selbst berauschte Satiriker nervt, wo er früher den Nerv der Zeit getroffen hat. Weil er Lautstärke mit Talent verwechselt, weil er Sound mit Tonlage verwechselt, weil er Beleidigung mit Satire verwechselt."
TAGESSPIEGEL-Autor Huber, der unter der Überschrift "Entsetzlich" Jan Böhmermann schmäht.
Tja, falls Sie keine Meinung zu Böhmermann haben, geht unsere Presseschau für Sie eigentlich erst jetzt richtig los.

Kein Paradies in Europa

Indem wir nämlich die Tageszeitung DIE WELT aufschlagen und näher das Manifest "Europa fällt" aus der Feder des Kunsttheoretikers Bazon Brock. Wer Brocks Neigung zu intellektuellem Furor ein bisschen kennt, der wird verstehen, dass wir zwei Versuche gar nicht erst unternehmen: Nämlich sein Manifest zu paraphrasieren, erstens; und, zweitens, eine Kernthese herauszuarbeiten.
Hier aber immerhin ein Gedanken-Brocken, den man ohne weiteres runterkriegt:
"Der Konsumerismus ist der wesentliche Antrieb für die jetzt beklagte Reisewelle von Einwanderern, die völlig selbstverständlich an dem teilhaben wollen, was man ihnen als höchsten Entwicklungsstand demokratisch verbürgter Rechte ständig als unsere eigene Überlegenheit vorführte und als logische Entwicklungskonsequenz ausgab, wenn nur die gesamte Welt dem Weg des Westens in den permanenten Sundowner folgen würde. Und nun folgen sie dem Aufruf millionen- und abermillionenfach und sind düpiert, dass ihnen statt des 'welcome in paradise' das 'back to your own hell' entgegenschallt, denn so war der Appell zur Konsumfreiheit eben nicht gemeint."
Bazon Brock zum Selbstwiderspruch des demokratisch-westlichen Konsumkapitalismus in der WELT.

Ein Flüchtlingsboot als Mahnung

"Totenschiff" heißt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ein Artikel von Catrin Lorch über die Biennale in Venedig. Und er heißt "Totenschiff", weil der schweizerische Künstler Christoph Büchel am Rand der Biennale ein tunesisches Flüchtlingsboot abgestellt und "Barca nostra" genannt hat.
Bei der Havarie des Bootes 2015 vor Lampedusa starben 800 Flüchtlinge. Nun beherrscht die Debatte um die "Barca Nostra" die gesamte Biennale, berichtet Catrin Lorch.
"Italienische Politiker von der rechtspopulistischen Lega wie der Venezianer Roberto Ciambetti forderten unverzüglich ihre Demontage, was der Präsident der Biennale, Paolo Barratta, sogleich mit den Worten konterte, es sei deren Auftrag, 'das Gewissen anzusprechen'. Dabei wirkt 'Barca Nostra' selbst vollkommen gewissenlos. Als Luc Tuymans im Jahr 1986 eine Gaskammer malte, galt das noch als Tabubruch. Aber es scheint, als gälten andere Regeln, wenn es um die Vernichtung von Armen geht, um tote schwarze Körper. Es ist an der Zeit, dass sich die Kunst selbst gegen die Vermarktung des Grauens abgrenzt".
Fordert Catrin Lorch in der SZ.

Idee eines genetisch modifizerten Homo sapiens

Ob es der Menschheit helfen würde, wenn sie mittels Gen-Technik eine neue Art des Homo sapiens erschüfe?
Man weiß es nicht. Sicher ist dagegen, dass Joachim Müller-Jung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die neue, freizügige Stellungnahme des Ethikrats zu Eingriffen in die menschliche Keimbahn heftig kritisiert:
"Der Ethikrat dockt am Spirit des Genzeitalters an. Eine kategorische Unantastbarkeit der menschlichen Keimbahn gibt es nicht mehr." –
Okay, so ist sie nun geworden, unsere heutige Kulturpresseschau. Wir hätten aber nichts dagegen, wenn Sie – mit einer Überschrift der TAGESZEITUNG – behaupten würden:
"Kann man auch anders machen."
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