Aus den Feuilletons

Frankreich geht den Bach runter

Der französische Künstler Michel Houellebecq
Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq irritiert mit eigenwilligen Thesen. © Ennio Leanza / dpa / picture alliance
Von Tobias Wenzel · 27.09.2016
Steckt die französische Gesellschaft in einer tiefen Krise? Die NZZ gibt die Analyse zeitgenössischer französischer Philosophen wieder. Der "Tagesspiegel" kommentiert die Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises an Michel Houellebecq ironisch.
"Die Frustration wächst", heißt es in einer Überschrift der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) über die französische Gesellschaft. Aber die Frustration wächst auch beim Durchblättern der Feuilletons vom Mittwoch: Internet-Roboter, mit denen Wahlen manipuliert werden, ein Film über Pädophilie, ein französischer Schriftsteller, der immer weiter nach rechts abzudriften scheint. Doch der Reihe nach.
Frankreich stecke in der Krise, schreibt Kersten Knipp in der NZZ und referiert, wie Denker und Wissenschaftler die französische Gesellschaft analysieren, genauer jene Menschen in den "abgehängten Zonen vor allem im Norden und Süden" des Landes, also eben nicht nur in der Banlieue, der Randzone von Großstädten. Es sei "ein Kult roher, grober Verhaltensweisen (…), verstanden als Ausdruck individueller Freiheit", zu beobachten, gibt Knipp den Philosophen Christian Godin wieder.

Über die Demoralisierung der Franzosen

Der hat ein Buch über die Demoralisierung der französischen Gesellschaft geschrieben, den Verlust der Moral und das Hochhalten des bewusst unmoralischen Handelns, das als "Coolness" gelte. Es sei, glaubt der Philosoph Robert-Dany Dufour, ein neuer, kultur- und geschichtsvergessener Sozialtypus in Frankeichs Gesellschaft entstanden:
"Dieser ist nicht nur unerzogen und kopflos, sondern auch noch stolz darauf, es zu sein."
Nachzulesen in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) hat am Montag in ihrem Berliner Redaktionsgebäude Michel Houellebecq den nach dem gestorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher benannten Preis verliehen. Kritische Worte zur Dankesrede des französischen Autors sucht man vergeblich im Artikel von Julia Encke von der FAZ.
Gregor Dotzauer vom TAGESSPIEGEL kann ganz unbefangen seine Meinung zur Rede sagen: Houellebecqs These, die Abschaffung der Prostitution habe letztlich die Abschaffung der Ehe zur Folge, deutet Dotzauer noch als ironische Provokation. Eine "Zumutung" sei dagegen jener Houellebecq, der sich in dieser "wirren" Rede "hinter Andeutungen" verstecke.

Houellebecq spricht wirres Zeug

So habe sich der französische Autor unter anderem zu Maurice Dantec bekannt, der für ihn wie er selbst ein Prophet des Dschihadismus sei. Der "selbst erklärte Zionist Dantec […], der gegen den Islam nur das Kraut der beiden anderen Monotheismen gewachsen sah, ist in seiner Nähe zu identitären Kreisen eine problematische Gestalt", schreibt Dotzauer. Außerdem habe Houellebecq den französischen Dichter Alphonse de Lamartine dafür gerühmt, dass der ihn daran erinnert habe, was Heldentum sei.
"Wenn nun auch noch der Name von Joseph de Maistre fällt, dem Verteidiger des Ancien Régime und Gegenaufklärer schlechthin, den man getrost als Urahn der heutigen nouvelle droite bezeichnen kann, scheinen sich die Zeichen für Houellebecqs Spielen mit dem rechten Feuer ganz zu verdichten."
Das Internet manipuliert. Das ist gleich zweimal Thema der Feuilletons vom Mittwoch. "Ein grandioser, ein grauenvoller, gefährlicher, wahrer Film", schreibt der dreifache Vater Elmar Krekeler in der WELT über "Das weiße Kaninchen", den Fernsehfilm im Ersten zum Thema Cyberverführung und Pädophilie: "Man möchte aufwachen. Und sich dann irgendwo einschließen. Bekommt es mit der Angst um die, die oben schlafen."
Angst bekommt man auch bei Adrian Lobes Artikel über die Macht von Internetrobotern. "Selten war Meinungsmache so leicht", schreibt Lobe in der FAZ mit Blick auf sogenannte Twitter-Bots. Das sind "automatisierte Skripte", die unaufhörlich Botschaften teilen. Wer nicht genau hinsieht, denkt, es handele sich um reale Menschen, die bei Twitter aktiv sind. Sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton nutzen Millionen solcher Fake-Accounts für ihren Wahlkampf.
Das führt Adrian Lobe zur Frage: "Gewinnt derjenige die Wahl, der nicht die besseren Argumente, sondern die besseren Algorithmen hat?"
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