Aus den Feuilletons

Fleischfabriken im Gerede

04:10 Minuten
Schweineteile im Schlachthof
Militanz oder Ignoranz seien die einzigen möglichen Reaktionen auf die Zustände in den Schlachthöfen, schreibt die "FAZ". © picture alliance/Mohssen Assanimoghaddam/dpa
Von Burkhard Müller-Ullrich |
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Einige Schlachthöfe haben sich als Corona-Hotspots erwiesen und sind dadurch in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Die "FAZ" schildert die Zustände, die auch ohne Virusbefall erbarmungswürdig sind. Die Firmen delegieren derweil ihre Verantwortung.
Eines der schmutzigen Geheimnisse unserer Republik sind die Schlachthöfe. Man möchte nicht wissen, wie es dort zugeht, und die Schlachthofbetreiber wissen es zu verhindern, dass es davon Bilder gibt. Als Filmemacher dort eine Drehgenehmigung zu bekommen, ist aussichtsloser als, sagen wir, in der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Doch jetzt sind wegen einiger Corona-Hotspots die Fleischfabriken ins Gerede gekommen.
Edo Reents greift das in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf und stellt fest, dass es dabei nur um die Behandlung der Menschen, nicht der Tiere geht: "Allenthalben werden bessere Arbeitsbedingungen gefordert. Fast könnte man meinen, die Menschen wären an die Stelle der Tiere getreten, so beklemmend sind die Schilderungen: Die Arbeiter werden in Sammelunterkünften zusammengepfercht und in überfüllten Transportern zur Arbeit gebracht wie das Vieh zur Schlachtbank; die Arbeitgeber stehlen sich mit Werkverträgen aus der Verantwortung."
Für eine richtig beklemmende Schilderung von Tiertötungen zitiert Reents aus Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz". Dort findet sich eine filmisch genaue Beschreibung, nach deren Lektüre man geneigt ist, dem FAZ-Autor beizupflichten, wenn er behauptet: "Was dort mit Tieren gemacht wird, ist so empörend, dass man nur noch militant oder ignorant werden kann."

Der Idiot als Gegenteil eines Mitläufers

Ignorante Leute nennt man ja landläufig Idioten, was aber, wie der Buchautor Christian Marty in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG doziert, ein grundfalscher Ausdruck ist: "Im antiken Griechenland verstand man unter dem 'Idioten' – dem 'idiotes' – den Privatmann. Der Begriff bezeichnete alle, die sich von den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens fernhielten. In diesem Verständnis galt der so bezeichnete Mensch freilich als das pure Gegenteil eines Mitläufers. Vielmehr war er der Inbegriff des Außenseiters, der nichts auf die Öffentlichkeit gibt und sich so eine überaus authentische Redlichkeit bewahrt."
Bei solch positiver Beleuchtung erkennen wir im Idioten also den Individualisten, der heute als Held gegen den Mainstream gefeiert wird. Allerdings stellt der NZZ-Autor mit einer gewissen Betulichkeit fest: "Die Utopie einer durch und durch nonkonformistischen Gesellschaft ist seit je eine Utopie, deren Chancen auf Verwirklichung schlecht stehen."

"Digital Natives" ausgeloggt

Nun ja – sonst wäre die Utopie auch keine Utopie. Blättern wir von der Idiotie zur Pandemie und deren Nebenfolge Online-Unterricht, stoßen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG auf den Bericht eines Medienwissenschaftlers, der mit Videokonferenzen im Rahmen von Universitätsseminaren interessante Erfahrungen gemacht hat. Er als Dozent musste nämlich feststellen, dass "die Studierenden bereits beim Einloggen ihre Mikrofone und Kameras deaktiviert hatten und nur schwer dazu zu bewegen waren, sich mit Bild und Ton am Kurs zu beteiligen."
Sind das sozusagen elektronische Idioten? Immerhin sind es dieselben Menschen, die sich sonst sehr gern mit der politischen Bedeutung von Sichtbarkeit und Hörbarkeit beschäftigen. Wörtlich heißt es in dem Text: "Man ist sich schnell darüber einig, sozial Schwachen das Recht auf Sichtbarkeit und Hörbarkeit zuzusprechen, ohne selbst von diesem Recht Gebrauch zu machen."

Kultureller Neustart

Das mit der Sicht- und Hörbarkeit ist wohl, wie so vieles, im übertragenen Sinne zu verstehen – ähnlich wie die Floskel von der Kulturhoheit der Länder. Die gilt nämlich nicht mehr, wie Andreas Kilb in der FAZ erklärt. Mit dem Corona-Hilfsprogramm aus dem Bundeskulturressort von Monika Grütters geht einher: "Die Übernahme wesentlicher Teile der öffentlichen Kulturförderung durch den Bund. Eine Milliarde Euro umfasst das Programm, mit dem der 'Neustart des kulturellen Lebens in Deutschland' unterstützt werden soll."
Nachdem er die Subventionen subtil aufgefächert hat, deklariert Kilb: "In der Kulturpolitik liegt die Initiative eben längst nicht mehr bei den Ländern, und sie wird auch nicht zu ihnen zurückkehren." Aber es wird bestimmt noch ein Weilchen dauern, bis sich nach der Praxis auch der offizielle Sprachgebrauch ändert.
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