Aus den Feuilletons

Familie ist wie Knete – beliebig formbar

06:28 Minuten
Ein lesbisches Pärchen mit Tochter.
Mutter, Mutter, Tochter - so kann es auch gehen. © imago images / Westend61
Von Klaus Pokatzky · 14.11.2020
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Mama, Papa, Kind – oder doch ganz anders? Heute haben Kinder auch mal zwei Väter oder zwei Mütter oder nur ein Elternteil. So oder so sind Familien "bunt, laut, leise, mal verrückt oder gar chaotisch", lesen wir im "Tagesspiegel".
"Zuerst die Kultur, dann das Fressen!", rief uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zu – ein schönes Motto für einen Blick in die Feuilletons, wo wir ja sogar beides gleichzeitig machen könnten: Lesen und Speisen. "Bestimmt haben Menschen, die regelmäßig gemeinsam essen, die besseren Beziehungen untereinander", empfahl dazu passend der New Yorker Autor Bill Buford.
"Die Familienmahlzeiten wurden zum zentralen Ereignis in unserem Alltagsleben. Jeder erzählte von seinem Tag, von seinen Erlebnissen, wir haben viel gelacht, es waren wunderbar intime Stunden", erinnerte er sich im Interview mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wie schön es gemeinsam mit Papa und Mama und den Kindern am Tisch sein kann: "Das gemeinsame Essen war das Epizentrum des Familienlebens."

Familien sind bunt

In anderen Familien gibt es zwei Papas oder zwei Mamas und ihre Kinder – wie "Nina und Lara, die gemeinsam ein kleines Mädchen großziehen", wie wir im Berliner TAGESSPIEGEL vom Sonntag erfahren. "Nun wünscht sich Lara ein leibliches Kind – ohne Mann", schreibt Daniel Schüler und stellt die grundsätzliche Frage in Zeiten auch gleichgeschlechtlicher Partnerschaften:
"Was ist Familie? Sie ist bunt, laut, leise, mal verrückt oder gar chaotisch, und ja, manchmal anstrengend. Familie ist wie Knete: Wir können sie beliebig formen. Wir können verschiedene Farben miteinander vermischen und am Ende ein wunderbares Durcheinander erhalten." Und das eben auch in Regebogenfarben.

Geschlechterungerechtigkeit in Corona-Zeiten

"Innerhalb der heimischen vier Wände ist es um die Gleichberechtigung offenbar noch schlechter bestellt als auf dem Arbeitsmarkt", klärte uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE über die Situation in Familien mit Papa und Mama auf. "Beruflich haben sich Frauen nämlich tapfer nach vorne gekämpft, verlieren aber gerade pandemiebedingt wieder dramatisch an Boden", fasste Melanie Mühl die Ergebnisse einer Studie zusammen, wie sich in Corona-Zeiten Hausarbeit und Kinderbetreuung verändert haben. "In sechzig Prozent der Beziehungen übernehmen die Frauen überwiegend oder sogar vollständig die Arbeit. Sie kochen, waschen Wäsche, putzen und tun, was sonst noch so anfällt."
Und wie ist die Aufgabenverteilung zu Weihnachten – wer kocht da, wer schmückt den Tannenbaum, falls Corona uns nicht auch noch Weihnachten kaputt macht? "Unsere Kanzlerin hat gesagt, dass wenn wir jetzt alle zusammenhalten, dass wir dann ein schönes Weihnachten kriegen, im Kreise unserer Liebsten", meinte Lola Randl in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Dazu gehört aber jetzt heftigste Disziplin und Abschottung – mit Schmerzen, "wenn keine Scharen von Kindern mit bunten Laternen und leuchtenden Augen durch dunkle Straßen ziehen und St.-Martins-Lieder singen", wie Malte Lehming im TAGESSPIEGEL beklagte. "Wenn vor Kirchen kein Feuer entzündet wird und weder Glühwein noch Gänsebraten die Runde machen." Und wenn wir keine Unterhaltungsstätten mehr aufsuchen dürfen – egal welche.

Sex sells – auch in der Klassikszene

"Warum die Gleichbehandlung von Bordellen und Bühnen ebenso absichtslos wie naheliegend ist", versuchte die FRANKFURTER ALLGEMEINE zu erklären mit beeindruckender Nähe zwischen gehobener Kultur und anziehendem Körper. "In den Marketingstrategien klassischer Musik kann man ohnehin seit längerem beobachten, dass ausübende Künstler, Männer wie Frauen, die offene Sexualisierung – wie im Pop längst üblich – nicht mehr scheuen, also ihren Körper als Kaufanreiz einsetzen", schrieb Jan Brachmann.
"Die Fotostrecke zum ‚Russian Album‘ der Deutschen Grammophon zeigte Anna Netrebko 2006 liegend in einem prall gepolsterten Löwenfüßchensessel: die Lider geschlossen, den Mund halb offen, den Körper spannungsreich in den Sitz gedrückt."
So neu ist das gar nicht, Konkurrenz gab es da schon immer. "Shakespeare musste nicht nur gegen die Prostituierten anspielen, die unter seinen Zuschauern auf Kundenfang gingen, sondern auch gegen die blutigen Sportvergnügen von Hahnenkämpfen und Bärenhatzen in unmittelbarer Nachbarschaft", erinnerte Michael Stallknecht in der NEUEN ZÜRCHER.

Joe Bidens warmherziger Katholizismus

Und die Hahnenkämpfe und Bärenhatzen heißen heute Wahlkampf. "Was geschieht mit Trump, sobald er aus dem Schutz des Weißen Hauses heraustritt?", fragte die Tageszeitung DIE WELT. "Ich gehe davon aus, dass er strafrechtlich verfolgt werden wird", antwortete der amerikanische Schriftsteller Paul Auster. "Vor den New Yorker Gerichten sind mehrere Verfahren gegen ihn anhängig. Kann sein, dass er im Gefängnis landet." Da kann er nur noch beten.
"Er hat auf mich einen tiefen Eindruck gemacht in seiner Warmherzigkeit, seiner Authentizität und seiner tiefen Religiosität", beschrieb da ein Mann der Kirche, wie er den hoffentlich baldigen neuen Herrn im Weißen Haus, Joe Biden, bei persönlichen Begegnungen erlebt hat. "Er ist zudem eher Pragmatiker als Ideologe. Sein freundlicher, offener Charakter macht vieles leichter", sagte in CHRIST UND WELT, der Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT, der Jesuit Godehard Brüntrup, der in den USA an verschiedenen Universitäten gelehrt hat.
"Biden ist groß geworden in einer katholischen Familie irischer Abstammung. Man spürt im Umgang mit ihm, dass er authentisch fromm ist. Für ihn ist der Glaube kein äußerliches Beiwerk. Er lebt ihn tagtäglich, seit seiner Kindheit."
Zuerst das Beten – dann das Essen.
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