Fäkalien aus dem Sommerloch

Aus dem Sommerloch taucht im Feuilleton der "Berliner Zeitung" der Aufsatz "Muschi, Urin, Mittagessen" auf. Die "FAZ" kümmert sich hingegen um Wesentliches: die enthemmende Substanz religiöser Machtfantasien.
Wir stecken im Sommerloch. Wer kann, ist im Urlaub, wer nicht kann, ist sauer. Eine wunderbare Zeit, sich über etwas aufzuregen, was kein Aufreger ist. Die Zeitschrift "Bunte" hat anscheinend behauptet, das ZDF würde "Wetten, dass..?" mit Thomas Gottschalk wieder aufnehmen. Die Betroffenen haben umgehend dementiert, aber BERLINER ZEITUNG, TAGESSPIEGEL, SÜDDEUTSCHE - sie alle nutzen die Chance zu raumfressenden Artikeln über eine Nicht-Meldung.
Weil wir im langweiligen Sommer stecken, konnte Jens Balzer in der BERLINER ZEITUNG unter dem Titel "Muschi, Urin, Mittagessen" einen Aufsatz über ein "flottes Hardcore-Punk-Festival" platzieren, aus dem wir erfahren, dass es ein "Diskurspopduo" namens Schnipo Schranke gibt, das in Berlin seine aktuelle Single "Pisse" vorgestellt hat. Anschließend brachte eine Band namens "Piss" den Titel "Rest in Piss" vor einem gröhlenden Publikum zu Gehör. Eine dritte Band mit dem Namen "Perfect Pussy", was wir nicht übersetzen müssen, stützt sich in ihren Texten angeblich auf die Philosophie von Roland Barthes, aber das konnte der Rezensent Jens Balzer nicht nachprüfen, weil die Sängerin nicht zu verstehen war. Man möchte gar nicht wissen, was den Künstlerinnen und Künstlern des Fäkalen und Genitalen zum Begriff "Sommerloch" alles eingefallen wäre.
Zum hochkulturellen Ausgleich vermeldet die BERLINER ZEITUNG in der Spalte rechts daneben, dass der Flügel und einhundert Kartons aus dem Nachlass des Sängers Dietrich Fischer-Dieskau der Staatsbibliothek übergeben wurden.
Negation der Freiheit der Kultur
Als habe die Konfrontation so unterschiedlicher Kulturereignisse ihn angeregt, denkt Thomas Steinfeld in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über Kultur nach. Sein Ausgangspunkt ist der Streit über das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Goetheinstitut, Deutscher Kulturrat, Börsenverein des Buchhandels und Bühnenverein kämpften unisono dafür, dass die europäische Kultur aus der - wie es heißt - "Ökonomisierung der Künste" herausgehalten wird. "Das Dumme ist bloß" - schreibt Steinfeld - "dass in dem Wunsch, die "Kultur" möge frei sein, nur eine Negation steckt: Sie soll eben nicht dem Streben nach Gewinn und Macht dienen. Aber was soll sie stattdessen tun?" Steinfeld unterstellt, die großen Institutionen wollten einen Bannkreis um das legen, was sie als Kultur ansehen, und dies umso vehementer, - Zitat - " je weniger sie angeben können oder wollen, was sich innerhalb des Kreises befinden soll".
Wie, welche Lobby, wo wirkt
Um in unserer Sommerloch-Publizistik zu bleiben: Ist ein Lied von Schnipo Schranke über die "Dreitagemuschi" ebenso schützenswerte Kultur wie Dietrich Fischer-Dieskaus Interpretation von Schuberts Winterreise? Steinfeld argwöhnt, dass die "Generalschutzklausel", wie er es nennt, nur deutlich mache, "dass hier nämlich eine Lobby wirkt, die tut, was alle Lobbys tun - nämlich das eigene Interesse befördern."
Das nämliche, schon erwähnte Sommerloch nutzt die FAZ für Wesentliches: "Mord als Gottesdienst" ist ein Essay von Friedrich Wilhelm Graf überschrieben, der sich mit der Frage beschäftigt, ob in religiös befeuerten Konflikten die Gewaltbereitschaft ihren Ursprung im Glauben hat. Er vermutet die enthemmende Substanz in religiösen Machtfantasien: "Der Fromme, der sich unmittelbar zu seinem Gott weiß, meint Gottes Willen ungleich besser zu kennen als die vielen anderen." Und weil er dichter an Gott ist die anderen, haben die Ordnungen, in denen die anderen leben, für ihn keine Gültigkeit, es seien "falsche, sündhafte, aufzuhebende Regelwerke, die souverän zu ignorieren nur mutige Glaubenstaat ist." Graf resümiert, dass es in Europa ein "langer, konfliktreicher Prozess war, dem Religiösen die destruktiven Potentiale zu nehmen". Ob das in - wie Graf es undeutlich nennt - "anderen religionskulturellen Konstellationen" auch möglich sein werde, sei seriös nicht zu sagen. Da kann es einem in seinem schönen Sommerloch doch bang und ängstlich werden.