Aus den Feuilletons

Ewige Diskussion um Handke

06:15 Minuten
Peter Handke mit Hut und Talar, hält die Ehrendoktorurkunde fest und erhält Applaus.
Stunde der wahren Empfindung? Peter Handke erhielt 2017 die Ehrendoktorwürde der Universität Alcala de Henares in Madrid. © imago images/Fernando Villar
Von Tobias Wenzel · 26.10.2019
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Die Diskussionen über Nobelpreisträger Peter Handke reißen in den Feuilletons nicht ab. "Lest doch einfach mal seine Texte", fordert der Autor Eugen Ruge in der "FAZ". Die Schriften Handkes zu Jugoslawien seien verfälschend, schreibt der "Spiegel".
"Vergessen Sie nicht, dass Deutschland über Dinge verfügt, die unantastbar sind", sagt John le Carré im Gespräch mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG mit Blick auf die AfD gerade noch rechtzeitig zur Thüringen-Wahl. "Sie haben ein wirklich gutes Grundgesetz, Sie haben ein Staatssystem, eine Gewaltenteilung, die Despotismus verhindert."
Pessimistisch ist der englische Autor aber, wenn er an Großbritannien und Brexit denkt. Im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG sagte er: "Wie wurden wir lächerliche Briten bewundert für unseren gesunden Menschenverstand, unser Fair Play! Alles Bullshit. Wir sind zu einer Art Glaubensgemeinschaft geworden, glaubensgesteuerte politische Extremisten." John le Carré redete sich so sehr in Rage, dass er den Überblick verlor: "Europa war der Prügelknabe für alles. Oh, ich trinke Ihren Tee", sagte er zur Interviewerin Sonja Zekri, die wiederum antwortete: "Macht doch nichts."

Debatte über Handke

"Macht doch nichts" darüber zu sagen, dass ein österreichischer Schriftsteller eine Rede am Grab eines serbischen Kriegsverbrechers gehalten hat, fällt vielen nicht leicht. Auch nicht, gerade bei Peter Handke zwischen Autor und Werk zu trennen. "Leute, lest doch einfach mal seine Texte! Nehmt euch die Zeit – oder haltet den Mund. Es sind schwierige, verwinkelte, mäandernde Texte; es sind die Texte eines Zweifelnden, die womöglich auch zweifelhaft sind. Aber sie sind keine Kriegserklärungen", schrieb der Schriftsteller Eugen Ruge in der FAZ.
"Die Schriften Peter Handkes zu Jugoslawien sind verfälschend und demagogisch – eine verkitschte Form der staatlichen serbischen Propaganda", urteilt Elke Schmitter im neuen SPIEGEL. "Belgrader Zeitungen sagte Handke dieser Tage, über den Nobelpreis freue er sich auch 'für die Serben'. Freuen sich 'die Serben' auch für Handke?", fragt Michael Martens in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG den serbischen Schriftsteller Vladimir Arsenijević. Und der antwortet: "Wenn Handke jetzt gleichsam als wohlwollender Übervater mit uns, seinen acht Millionen Kindern, sein Glück teilen will, ruft das in mir Brechreiz hervor."
Nun ist ein Interview mit Peter Handke aufgetaucht, das 2011 in der Zeitschrift "Ketzerbriefe. Flaschenpost für unangepasste Gedanken" erschienen war. Im TAGESSPIEGEL vom Sonntag zitiert Gerrit Bartels daraus. Handke soll dort zum Massaker in Srebrenica vom Juli 1995 gesagt haben: "Mir kommt es so vor, als sei es ein Racheakt von serbischer Seite gewesen. Nicht, dass ich es verurteilen würde, aber ich kann es auch nicht uneingeschränkt gutheißen." Bartels ist sich nicht sicher, ob er nicht vielmehr sagen wollte: "Nicht, dass ich es uneingeschränkt gutheißen würde, aber ich kann es auch nicht verurteilen." Was aber auch nicht gerade für Handke spräche. Die Schwedische Akademie habe von diesem Interview nichts gewusst, berichtet Bartels, die Sache werde geprüft.

Relotius klagt gegen Murenos Buch

"Fälscher als Opfer", so nannte Christian Meyer in der WELT Claas Relotius. Der hat über seinen Anwalt Unterlassung mit Blick auf 22 Textstellen aus Juan Morenos Buch "Tausend Zeilen Lügen" verlangt. Zwar bezeichnete es Meyer als "ironisch" bis "zynisch", dass Relotius gerade dem Mann, der ihn als maßlosen Fälscher entlarvt hat, nun selbst unsauberes Arbeiten wie Verdrehung von Tatsachen und unzulässiges Arrangieren vorwirft. Aber auch ein Fälscher habe nun mal das Recht, korrekt dargestellt zu werden.
Bei einigen der beanstandeten Textstellen gehe es um Petitessen, urteilte Christof Siemes in der ZEIT, nicht unerheblich sei aber zum Beispiel die Geschichte mit der Schwester von Relotius: "Er hat sie erfunden, wie er selbst zugibt, um gegenüber seinen Vorgesetzten zu begründen, warum er eine ihm angebotene feste Stelle beim Spiegel nicht annehmen wollte: Sie sei krank, er müsse sich um sie kümmern. Als sei diese Erfindung nicht schon skrupellos genug, schreibt Moreno, Relotius habe behauptet, sie sei an Krebs erkrankt und er müsse sich 'jeden Morgen und jeden Abend' um sie kümmern." Siemes‘ Fazit: "Vor der Ansteckungsgefahr, die offenbar vom Morbus Relotius ausgeht, scheint selbst Juan Moreno nicht ganz gefeit zu sein, jener Mann, der sich zutraute, die Diagnose zu stellen."

Gefälschte Bilder

"Fälschung, lautet die Diagnose", titelten Stefan Koldehoff und Tobias Timm in der ZEIT: Der Berliner Galerist Michael S. soll jemandem ein gefälschtes Gemälde von Gerhard Richter untergeschoben haben. Das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein. Koldehoff und Timm bescheinigten dem Galeristen jedenfalls einen, sagen wir mal, äußerst kreativen Umgang mit der Wahrheit: "Im Interview mit dem Tagesspiegel erzählte er 2017 munter, wie er einem Sammler mal eine Uhr zum Geburtstag geschenkt habe und dem wegen des teuren Geschenks zu Tränen gerührten Mann nicht verriet, dass es sich um eine Fälschung handelte."
Wenn Sie, liebe Hörer, jetzt genug haben von Brexit, Kriegsverbrechen und Fälschungen, kurz: von der üblen Realität, bieten sich zwei Auswege an. Erstens: die Flucht ins Virtuelle. Oder wie Claudia Mäder in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG schrieb: "Es ist einer der Vorzüge der virtuellen Welt, dass man in ihr keinen Menschen begegnet." Sympathische Verwechslungen von Teetassen gibt es dann allerdings auch nicht mehr. Drum vielleicht doch lieber der zweite Ausweg: Humor. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG fragt ein Leser die Musikkritikerin Eleonore Büning: "Darf ich im Konzert einschlafen?" Ihre Antwort: "Selbstverständlich. Wo sonst?"
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