Aus den Feuilletons

Europa als Zuflucht für Gecancelte

04:07 Minuten
Schauspieler Kevin Spacey verlässt das Bezirksgericht in Nantucket im Bundesstaat Massachusetts nach einem Gerichtstermin am 7. Januar 2019. Der Oscar-Preisträger wurde beschuldigt, einen Teenager 2016 in einer überfüllten Bar sexuell belästigt zu haben.
Die Karriere von Oscar-Preisträger Kevin Spacey lag nach Missbrauchsvorwürfen brach. Doch nun soll er ein Rollenangebot aus Italien bekommen haben. © picture alliance / AP Photo / Steven Senne
Von Gregor Sander |
Audio herunterladen
Nach Missbrauchsvorwürfen knickten in Hollywood Karrieren ein. Regisseure und Schauspieler wie Roman Polanski, Woody Allen oder Kevin Spacey wurden geächtet. Haben sie eine Zukunft in Europa?, fragt sich Hanns-Georg Rodek in der "Welt".
"Manche Türen gehen nicht auf, andere nicht zu, und durch die Klimaschleuse bläst der Wind." Was hier in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nach einer Bruchbude klingt, beschreibt den aktuellen Zustand des Humboldt Forums in Berlin. Der Zeitung liegt ein aktueller interner Brief von Hans-Dieter Hegner vor, dem "Bau-Chef des Großprojekts".
Jörg Häntzschel hat ihn gelesen und berichtet Erstaunliches: "Immer wieder komme es zu 'unkoordinierten Abschaltungen von Steckdosen' und 'Zu- und Abschaltungen von Licht'. Diese machten einen 'geregelten Betrieb unmöglich und gefährden das bereits eingebrachte Kulturgut'. Gemeint sind die vielen Tausend empfindlichen Objekte, die aus den Museen in Dahlem ins Schloss gebracht wurden und durch zu viel Licht oder Klimaschwankungen Schaden nehmen."

Sicherheitslücken im Humboldt Forum

Noch ist das neue Museum pandemiebedingt von Besuchern verschont, glaubt man der SZ, ist das vielleicht auch besser so. Denn auch im IT-Bereich sehe es, laut Hegner, eher düster aus. Von einigen Computersystemen "könnten Hacker-Angriffe und Malware wie der 'Wanna-Cry-Virus'‚ 'im Zweifel nicht abgewehrt werden und sind schlussendlich ein Risiko für das Kulturgut und die Besucher'. Die Stiftung Humboldt-Forum sei deshalb 'nicht in der Lage … einen sicheren Betrieb zu gewährleisten'."
Und so wird Hegner mit den verzweifelten Worten zitiert: "Ein Vorzeigeprojekt kann nicht vorgezeigt werden." Der einzig hoffnungsvolle Satz in der SZ lautet: "Eine Katastrophe wie am BER sei unwahrscheinlich."
Aber hat man das am Berliner Flughafen am Anfang nicht auch gedacht? In der Tageszeitung DIE WELT macht sich Hanns-Georg Rodek ganz andere Sorgen: "Wir kennen inzwischen die Mechanismen der sozialen Medien, um zu canceln, aber es hat sich noch niemand Gedanken über Mechanismen gemacht, Menschen wieder zu ent-canceln, bei bewiesener Unschuld oder berechtigten Zweifeln oder glaubwürdiger Reue."

Comeback-Versuche nach Missbrauchsvorwürfen

Als ein Beispiel nennt Rodek ausgerechnet Kevin Spacey, der von mehreren Männern des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde und daraufhin arbeitslos wurde.
"Lasst sie doch nach Europa ziehen!", schlussfolgert der WELT-Autor und weiter: "Roman Polanski, der Vergewaltiger, ist schon lange da und dreht Film auf Film. Woody Allen hat dort Zuflucht gefunden, zuerst, als er seinen amerikanischen Produzenten nicht mehr genug Geld einbrachte und nun, da es kein amerikanischer Star mehr wagt, bei ihm aufzutreten."
Dass Kevin Spacey nun ausgerechnet einen Kommissar beim Italiener Franco Nero spielt, ist für Rodek "Eine hübsche Volte, aber kaum hinreichend für ein Comeback in Amerika, worauf Spacey natürlich spekuliert."
Und dann lehnt er sich mit einem Vergleich aus dem Ent-Cancel-Fenster, der doch sehr gewagt ist: "Bei aller schwierigen Vergleichbarkeit könnte man an die letzte Periode von Ächtungen in der US-Filmindustrie denken, an die Kommunistenjagd der McCarthy-Ära. Wer damals seine Arbeit verlor, ging entweder nach Europa oder schlug sich unter Pseudonymen durch."

Nach der Pest die Orgie

Am Donnerstag beginnt die extra in den Mai verlegte lit.Cologne. Doch trotz sinkender Inzidenzzahlen wird in Köln nur online vorgelesen.
Festivalleiter Rainer Osnowski nimmt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit Humor: "Das ist die Ironie des Schicksals. Es wird ja nur kleine, vorsichtige Öffnungen geben. Ich finde das viel zu langsam, aber wir müssen uns natürlich an die offiziellen Richtlinien halten. Wir hätten selbst in vier Wochen wohl keine dreißig Spielstätten in der Weise bespielen können, wie wir das geplant hatten. Wir finden jetzt mit aller Power im Digitalen statt."
Wer von dieser Power des Digitalen am eigenen Wohnzimmertisch die Nase voll hat, dem empfehlen wir zum Schluss einen Text der Autorin und Regisseurin Anika Decker in der SZ, die einen Blick nach vorne wagt: "Nach der letzten großen Pest haben die Menschen Orgien veranstaltet. Für diesmal erwarte ich dasselbe – die Leute müssen wieder rausgehen. Mir ist sehr nach Party, nach Feiern. Ich werde groß heiraten, weil, wenn man etwas festhalten kann, nach dem vergangenen Jahr: Man sollte nichts verschieben. Weder das Glück noch das Feiern."
Mehr zum Thema