Aus den Feuilletons

Euphorie im Impfzentrum

04:23 Minuten
Ein Mitarbeiter blickt im neuen Corona-Impfzentrum am ehemaligen Flughafen Tempelhof aus einer Kabine.
So sieht laut "FAZ" das freundliche Deutschland aus: ein Mitarbeiter des Impfzentrums im ehemaligen Flughafen Tempelhof. © picture alliance / dpa / AFP-Pool / Tobias Schwarz
Von Arno Orzessek · 06.04.2021
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Die "SZ" hat sich impfen lassen und war ganz begeistert von den Menschen im Impfzentrum im stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof. Die "FAZ" nennt die Schar der Helfenden sogar das freundliche Deutschland.
Dass Gustav Seibt am Ostersonntag gegen Corona geimpft wurde, ist der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG einen Feuilleton-Aufmacher wert. Was damit zu tun hat, dass sich Seibt die Impfung in Hangar 4 des stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof verpassen ließ.
"Impfung nach Hipster-Art" – strapaziert die Unterzeile ein Klischee. Doch aus dem Artikel geht hervor: Weder unter den Impflingen noch beim Personal dominierten die Hipster.
"In Tempelhof", so Seibt, "packt nicht die Clubkultur oder studentisches Publikum an. Hier sieht die Schar der Helfenden aus, als seien sie von der Neuköllner Sonnenallee, Berlins 'arabischer Straße' oder dem einstmals roten Wedding kurzfristig herbeigerufen worden. Die Ankommenden also sind weißhaarig, die Empfangenden eher schwarzhaarig. Manchmal sieht es aus wie in der Serie '4 Blocks' oder in einem Rapper-Video. 'So könnte Berlin künftig funktionieren', schrieb Götz Aly kürzlich in der Berliner Zeitung über die Situation im Hangar, "gutgelaunt, gut gemischt, zum Nutzen aller. Unwillkürlich ergriff mich in dem monströsen Faschistenbau das freudige Gefühl, wir alle hier - 'Wir sind Berlin'. So hatte sich der Führer das nicht vorgestellt." Götz Aly in einem SZ-Artikel von Gustav Seibt.
Noch angefasster vom Impfen in Hangar 4 zeigt sich Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Die unzähligen Menschen, die im Impfzentrum so geduldig Dienst an anderen tun, haben nichts als Dank verdient. Sie sind nicht das rebellische oder maulende, sie sind das freundliche Deutschland."

Vom Gendern und ändern

Offenbar fördert der Impfprozess das Gute im Menschen. Dagegen fördert die Verbreitung gendergerechter Sprache bei vielen den Unmut. Wie auch die Überschrift "Krieg der Sternchen" in der Tageszeitung DIE WELT andeutet.
Ein zentrales Argument für das Gendern lautet bekanntlich, Begriffe wie "Lehrer" oder "Arzt" würden männliche Assoziationen hervorrufen.
Der WELT-Autor Tim Hirschberg stellt das nicht in Abrede, betont jedoch: "Ironischerweise ist gerade der Erfolg des Gendersternchens und seiner Verwandten davon bedroht, dass nicht sprachsystematische Faktoren, sondern Assoziationen im Vordergrund stehen. Denn in Ermangelung einer etablierten grammatischen Funktion dürfte das Sternchen weniger als linguistisches denn als soziales Zeichen wahrgenommen werden. Statt nicht binäre Geschlechtsidentitäten sichtbar zu machen, hat das Sternchen für viele den Status eines moralinsauren Distinktionsmerkmals angenommen."
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Der Literaturwissenschaftler Achim Hölter zählt Beispiele auf: Aus "Fridolin Freudenfett" wird "Fridolin Freundlich", aus "mulmiger Muselmann" wird "mickriger Möchtegern" und aus dem "Maharadscha von Stinkadore" der "Maharadscha von Stirkadore". Was Hölter für "sinnfrei" hält.
"Vielleicht weiß man nicht mehr, dass Zigarren im Volksmund (damals) Stinkadores hießen", grübelt der FAZ-Autor und wirft die Frage auf: "Will hier jemand die erkennbar frei erfundene Residenz eines erkennbar frei erfundenen Maharadschas vor Beleidigungen schützen?"

Ein Zuviel des Guten

Unterdessen wirbt die TAGESZEITUNG für die Grünen. "Wer hätte das vor Kurzem gedacht, in einer Gegenwart des politischen Zuwenig sind die Grünen die einzige Partei geworden, die beinahe ein Zuviel im Angebot hat: Hier eine kluge, verhandlungsgeschickte Politikerin, die Deutschland von der Altmännerstaubigkeit erlösen könnte. Da ein Politiker, der das Ganze neu zusammendenken kann und will", bejubelt Jagoda Marinić die grünen Spitzen Baerbock und Habeck.

Aus dem Dunkel ins ewige Licht

Eine "Jahrhundertfigur" – das ist für die WELT der verstorbene Schweizer Theologe Hans Küng.
Und Unglaube hin, Unglaube her: hier zum Abschluss ein Küng-Zitat aus dem WELT-Artikel. Hören wir dem großen Toten in seinem eigenen Nachruf zu: "Der letzte, entscheidende, ganz andere Weg des Menschen führt nicht hinaus ins Weltall oder über dieses hinaus. Sondern – wenn man schon in Bildern reden will – gleichsam hinein in den innersten Urgrund, Urhalt, Ursinn von Welt und Mensch: aus dem Tod ins Leben, aus dem Sichtbaren ins Unsichtbare, aus dem sterblichen Dunkel in Gottes ewiges Licht."
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