"Er war der Meister"
Ob nun hundert oder tausend Jahre Trauer angemessen sind, darüber streiten die Gelehrten in den deutschen Feuilletons. Der Tod von Gabriel García Márquez bewegt die Literaturkritiker.
Die Feuilletons vom Wochenende wetteifern um die markantesten Sätze im Nachruf auf Gabriel García Márquez: "100 Jahre Trauer" sagt die Tageszeitung DIE WELT voraus, "nach diesem Tod: Tausend Jahre Trauer" ruft die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Lob in den höchsten Tönen gilt dem kolumbianischen Romancier, der mit seinem "bis heute millionenfach verkauften Welterfolg" "Hundert Jahre Einsamkeit" von 1967 zum "unbestrittenen Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur" wurde. "Wie kein anderer Autor der Gegenwart verkörpert er die Idee der Weltliteratur", schreibt Burkhard Müller in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Gabo, wie sich Márquez von seinen Freunden nennen ließ, war nie ein unterwürfiger Intellektueller am Hofe des Diktators Fidel Castro", ergänzt Walter Haubrich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Er machte aus seiner grundsätzlichen Zustimmung zur kubanischen Revolution keinen Hehl; damit war es möglich, von Castro die Freilassung zahlreicher kubanischer und ausländischer Dissidenten zu erreichen", so die Einschätzung von Haubrich. Er schildert eine weitere Liebenswürdigkeit des Jahrhundert-SchriftsteWelllers. "Nach dem Nobelpreis bat er, ihm keinen weiteren Literaturpreis zu verleihen. Das mit den Preisen verbundene Geld komme besser jüngeren Schriftstellern zugute, ließ Marquez wissen."
"Die Achtung seiner Kollegen ist turmhoch, aber diesen Mann liebte auch das Volk", so Paul Ingendaay, ebenfalls in der FAZ. Und weiter: "Er war der Meister. In seinem Schreiben gelangte eine neue Art des Erzählens auf die literarische Weltkarte: packend, unbekümmert, aber mit allen Essenzen der Moderne gesalbt, betörend, doch nicht naiv, dabei hellhörig im Sozialen, immer geradeheraus und von unverschämtem Vertrauen in die Kraft des Erzählens geprägt." Der Gedanke der Einsamkeit durchzieht das Werk dieses großen Erzählers, und bleiben wird seine Erkenntnis: "Armut macht einsam, noch einsamer aber die Macht."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG macht uns zu Mitwissern sonderbarer Ereignisse. Luke Harding, der Guardian-Journalist, hat ein Buch über Edward Snowden geschrieben, das jetzt als "Geschichte einer Weltaffäre" in der Edition Weltkiosk auch auf Deutsch erschienen ist. Der Autor selbst berichtet in der SZ über "seltsame Vorfälle", die sich ereigneten, als er das Buch schrieb. Harding "gehörte zu einem kleinen Team, das beim Guardian Snowdens Dokumente untersuchte. Downing Street reagierte auf Snowden erst kaum, dann scharf." Der Leiter des Büros von David Cameron "besuchte den Guardian und forderte die Rückgabe des Materials. Als er ging, äußerte er, dass die Zeitung nun selbst unter Beobachtung stehen würde. Das gipfelte darin, dass der Guardian unter Aufsicht des britischen Geheimdienstes seine Laptops in einer Tiefgarage zertrümmerte." Harding zählt weitere Merkwürdigkeiten auf, überraschende Baggerarbeiten vor den Zeitungsbüros in New York und Washington, seltsame Störungen auf seinem PC; ganze Abschnitte, die von der NSA handelten, wurden automatisch gelöscht. Davon berichtete Harding bei einer Lesung in Berlin. "Danach blieb sein geheimer Leser still." Im Februar ist das Buch in Großbritannien und in den USA erschienen. Noch immer weiß Harding nicht, "wer sein heimlicher Lektor wohl gewesen sein könnte." Mit Hilfe der Zeitung will er nun erfahren: "Wer immer Sie sind, wie finden Sie mein Buch?"
"Die Deutschen sind ein Volk von Verrätern" lautet der erste Satz eines Artikels in der Tageszeitung TAZ. Ostern sei ein Fest, schreibt Daniel Schulz, das es nicht gäbe ohne den größten Verrat aller Zeiten. Der Name des Verräters Judas "wird im Dritten Reich zum Synonym für alle Juden. Dem Krieg gegen "den Judas" opfern die Deutschen alles: die Kinder der anderen ebenso wie die eigenen." Jetzt beschäftigt sich das Parlament dieses Landes mit dem größten Verräter der Jetztzeit. Schulz meint Edward Snowden, "Offenbarer vieler Geheimnisse seines ehemaligen Arbeitgebers. Was Snowden mit Judas verbindet, ist die Verteufelung durch die Mächtigen. Und die Sympathien jener, die die Autorität dieser Mächtigen infrage stellen."