Aus den Feuilletons

Endloses Theater von Frank Castorf

Die Schauspieler Mex Schlüpfer (M) als Franco Vegliani und Horst Günter Marx (r) als Graf Augstein de Foxa im Stück "Kaputt" an der Berliner Volksbühne.
Die Schauspieler Mex Schlüpfer (M) als Franco Vegliani und Horst Günter Marx (r) als Graf Augstein de Foxa im Stück "Kaputt" an der Berliner Volksbühne. © picture alliance / dpa / Foto: Britta Pedersen
Von Paul Stänner  · 09.11.2014
Vor allem zu lang sei Castorfs Stück "Kaputt" an der Volksbühne, monieren "Tagesspiegel" und die "FAZ". Dagegen habe die Premiere über das Leben des früh verstorbenen Schriftstellers Ronald Schernikau am Deutschen Theater Berlin ein "kleines Paradies" entfaltet, schreibt die "Süddeutsche".
Während die Nation noch vor dem Fernseher saß und der Mauerfall-Feierstunde im Konzertsaal am Gendarmenmarkt zuschaute, wo Anna Thalbach in einem Kostüm, das aussah, als habe sie sich im Batikkurs einen Schlafanzug bedruckt, vorführte, dass sie sogar einfachste Fragen erfolgreich vom Blatt ablesen kann, lasen wir schon in den Feuilletons vom Montag. Auch dort dreht sich alles um die untergegangene DDR und schlechtes Theater. Frank Castorf hat sich Curzio Malapartes Roman "Kaputt" vorgenommen.
Malaparte war ein eher windiger Autor, der sich im Verlauf seines Lebens für nahezu alle politischen Systeme und Mächte begeistert hatte. Im Berliner TAGESSPIEGEL schaut Peter von Becker zurück auf den früheren Castorf:
"Nur eines, zu viel Süße und Sülze, das haben wir Frank Castorf noch nie vorgeworfen. Bis jetzt nicht. Nun hat er an der Berliner Volksbühne wiederzugeschlagen, sechs Stunden lang."
Castorf habe nicht einmal Schulfunk-Niveau erreicht, es gebe nicht einmal ein Programmblatt zu Leben und Werk Malapartes, es fehle der Aufführung jedes innere Echo, stöhnt von Becker und:
"Und am Ende geht die sonst völlig textlastige, undramatische Aufführung buchstäblich baden, apokalyptisch geflutete Leiber und Schreier, doch die Sintflut ist bloß knöcheltief."
In der FAZ outet Irene Bazinger Castorf als einen "Fetischist in Sachen Quantität (weniger in Sachen Qualität)“, was andeutet, dass auch ihr das Stück "schier endlos" lang wurde.
Sie mäkelt: "Ob es um Massaker an Juden geht oder die Schönheit deutscher Frauen, um Havanna-Zigarren oder Wehrmachtsbordelle…, immer lautet die Devise: Auf sie mit Gebrüll!"
Aber da sie dem deutsch-italienischen Malaparte ohnehin nicht, wie sie sagt, "über den Weg traut", ist sie am Ende mit dem Abend erstaunlich zufrieden, denn:
"Mit ´Kaputt` hat sich Castorf gehörig verhoben, was angesichts des zwiespältigen Romans eigentlich auch ganz gut ist."
Biermann nach seinem Bundestagskonzert
Wieder Theater, jetzt mit DDR: Im Berliner Ensemble, der einstigen Brecht-Bühne, ist Wolf Biermann nach seinem Bundestags-Konzert erneut aufgetreten, wieder vor Merkel und Lammert und anderen: Für die TAZ hat Anja Maier Szugehört. Biermann erzählte von der Zeit der Unterdrückung durch den DDR-Staatsapparat – Zitat Maier:
"…ein Hochamt für einen, dessen Lebenselixier größtmögliche, gern auch krawallige Aufmerksamkeit ist."
Ihr schien, Biermanns Auftritt habe gelitten unter der Abwesenheit des ideologischen Gegners, den er im Bundestag noch vor sich gehabt hatte.
Die TAZ glaubt, die Rolle des von der Staatsmacht unterdrückten, aber international anerkannten Künstlers sei längst an jemanden wie den chinesischen Künstler Ai Weiwei weitergereicht worden und folgert für den öffentlichen Biermann:
"Da kann einem, das war in Biermanns Erzählungen deutlich zu spüren, leicht der Maßstab für das Gewicht der eigenen Person abhanden kommen."
Aber sie schließt versöhnlich mit einem Blick auf die letzten 25 Jahre:
"Seine Schuld ist das nicht."
Innensicht des Roland Schernikaus
Ebenfalls wie nicht aus dieser Zeit erscheint eine Premiere im Deutschen Theater, die an den – wie die SÜDDEUTSCHE schreibt – "viel versprechenden, wenig gelesenen“ Autor Roland M. Schernikau erinnert.
Wir lernen: Schernikau war in Magdeburg geboren, in Westdeutschland aufgewachsen und gleichsam sehnsüchtig im September 1989 in die DDR zurückgekehrt. Einen Monat später war sein Staat Geschichte, was nach Schernikaus Meinung ein Werk der Konterrevolution war.
Jens Bisky findet es "schön, dass ein Theater das Material nutzt, dem allgemeinen Einverständnis, dem Harmonismus der Erinnerungen etwas entgegenzusetzen".
Was Bisky stört ist, dass das Theater lediglich der sehnsüchtigen Innensicht Schernikaus folgt, denn: "Der Abend entfaltet ein kleines Paradies des Aus-der-Zeit-Fallens und erspart seinem Helden die Konfrontation mit Welt, Erfahrung, anderen Ansichten."
Es scheint uns eher unwahrscheinlich, dass der Abend dem früh verstorbenen Schernikau ein neues Publikum erschließen wird, im Jahr 25 nach der DDR.
Kritischer Blick auf "Kruso" und die Aussteigerkolonie auf Hiddensee
In der FAZ erläutert der Schriftsteller Wolfgang Hegewald, der 1983 besagte DDR verließ, warum er den preisgekrönten Roman "Kruso" von Lutz Seiler anders liest als die jubelnden Kritiker, die "in der Insel Hiddensee sogar eine Art Zonen-Macao … vermuten, eine geistig-moralisch Freihandelszone der DDR".
Der Autor Lutz Seiler posiert nach der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2014 mit seinem Roman "Kruso" im Römer in Frankfurt am Main. 
Lutz Seiler mit seinem Roman "Kruso" nach der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2014 in Frankfurt am Main© dpa / picture alliance / Arne Dedert
Hegewald findet, diese aus dem DDR-Alltag enthobene Aussteigerkolonie auf Hiddensee sei von eben diesem Alltag derart kontaminiert und korrumpiert, dass sie sich als Weltfluchtgemeinschaft selbst aufhebt:
"Auf dem Eiland wiederholt sich das ganze Elend des kleinen verrotteten Landes als Farce und Satyrspiel“ – er findet religiöse und parareligiöse Muster bei den "in Gemeinschaftspathos und Inseltrotz Internierten", die den Fall der Mauer und den Einbruch der Realität als persönliche Kränkung empfinden und tut das Ganze ab als "den Kopf vernebelnde Sprachgischt", - wir befürchten, dass Frank Castorf diese Bemerkung als Anregung nimmt für ein neues Bühnenprojekt.
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