Aus den Feuilletons

Enden überall

Schwarz-Weiß-Porträt von Rolf Boysen
Der Schauspieler Rolf Boysen ist im Alter von 94 Jahren verstorben © picture alliance / dpa/ Ursula Düren
Von Paul Stänner |
Der Tod tritt auf im Feuilleton, denn mit Rolf Boysen ist ein großer Theatermann gestorben, in Mailand die Karriere von Alexander Pereira zu Ende gegangen, bevor sie angefangen hat und Onlinehändler Amazon könnte für die Nivellierung der Literatur sorgen.
Der Tod tritt auf im Feuilleton. Rolf Boysen, der große Theatermann, ist mit 94 Jahren verstorben. Über die Toten sagt man nichts als Gutes, das ist klar – hier aber sind es Elogen. Die Süddeutsche Zeitung erinnert sich: "Was immer Boysen an Text in den Mund nahm – er machte daraus schillerndes, wirkungsmächtiges Theater. Großes Sprechtheater. Kunst."
Sie nennt Boysen einen "Grandseigneur von hanseatischer Eleganz" – in der Tat war der Verstorbene in Flensburg geboren – und befindet: "Einer wie er hätte viel berühmter sein müssen, es gibt nicht viele seines Kalibers".
Altmeister der Sprechkunst
Die Welt erinnert daran, dass Boysen der Synchronsprecher von Bela Lugosi und Eli Wallach war und: "Hier konnte man erkennen, dass ein Schuft schurkischer klingt, wenn er sein Handwerk bei Schiller gelernt hat." Folgerichtig gilt er der Welt als "Altmeister der Sprechkunst", was so schon würdenschwer und ein wenig gestrig klingt, aber sie setzt noch einen drauf mit: "Lordsiegelbewahrer von Jamben, Stanzen und Blankversen", als hätte Boysen nur Shakespeare und nicht auch Thomas Bernhardt gespielt.
Die Frankfurter Allgemeine schwelgt pathetisch über den Verstorbenen, nennt ihn stabreimend einen "Wortewäger" und schwärmt dröhnend von Boysens Umgang mit der Sprache: "Sie bekam von ihm Körper, Gestalt, Wucht, Melodie, Tragik, Sehnsucht, Hochmögenheit, Sturmgebraus und Dunkelruhe." Wir haben den Eindruck, die Nachruf-Autoren hätten Rolf Boysen im Ohr gehabt, als sie nach Worten suchten – auch, wenn sie nur Phrasen fanden.
Mailänder-Scala-Skandal
Alexander Pereira, zurzeit noch Intendant in Salzburg, wollte nach Mailand wechseln und ist seinen Job dort schon los, bevor er ihn angetreten hat. "Mailänder Scala-Skandal" titelt die Welt, "Zurück auf Null" hämt die Neue Zürcher und die FAZ spricht davon, dass Pereira einen "Riesenschlamassel" angerichtet hat. Der Schlamassel war ein Deal, mit dem Pereira schon vor Amtsantritt sechs Salzburger Inszenierungen für Mailand eingekauft hat, wobei er die Finanzlöcher, die er in Salzburg hinterlassen hat, mit Mailänder Geld zu stopfen gedachte.
Nivellierung der Literatur?
Noch mehr Geld: Internet-Versandhändler Amazon nutzt seine marktbeherrschende Position und setzt durch zum Teil willkürliche Preisgestaltung und verzögerte Auslieferung Verlage unter Druck, um höhere Profite zu erzwingen. Die SZ analysiert, dass damit langfristig die Verlage ausgeschaltet werden sollen, damit seien aber auch deren Kerntätigkeiten bedroht wie Autorenbetreuung, Lektorat, Marketing, Übersetzungen. Fazit der SZ: "Das Verfahren kommt also meist etablierten Bestseller-Autoren zugute, unbekannten Schriftstellern nicht." Und letztlich, so können wir leicht hochrechnen, hat diese Quasi-Monopol-Stellung die Nivellierung der Literatur zu Folge, weil durch die Entfesselung des Buchmarktes paradoxerweise der Kultur die Vielfalt genommen wird.
Schönheit und Leichtigkeit
Kommen wir auf den Tod zurück. Zürich kann sich glücklich schätzen, in einer Ausstellung die Tuschebilder des Zen-Meisters Sengai zeigen zu können. Sengai ist ein japanischer Mönch des 19. Jahrhunderts, der die Kunst und seinen Humor als Meditations-Hilfe verstanden hat. Die Besprechung in der Neuen Züricher schwärmt von der Schönheit und Leichtigkeit seiner Tuschbilder, die durchaus auch Furunkel am Gesäß als ernsthaftes Hindernis bei dem Versuch, sitzend zur Erleuchtung zu erlangen, zum Thema haben. Als es mit dem großen Zen-Meister zu Ende ging, soll er gemurmelt haben, er habe keine Lust zu sterben. Seine Schüler waren entsetzt über soviel Un-Weisheit, aber Sengai wiederholte: Er habe wirklich keine Lust zu sterben – und schied prompt dahin, weise und leicht geworden durch sein Leben mit dem Tuschpinsel. Wer in Zürich wohnt, hat ein morbides, aber erhebendes Wochenende vor sich.