Aus den Feuilletons

Eine Nation bedroht sich selbst

Anhänger der Tea-Party-Bewegung in Washington, DC
Anhänger der konservativen Tea-Party-Bewegung demonstrieren im März 2012 in Washington, DC, gegen die Gesundheitsreform von Präsident Obama. © picture alliance / dpa / Foto: Michael Reynolds
Von Hans von Trotha · 11.05.2015
Nichts fürchten die Amerikaner mehr als terroristische Anschläge, die von außen kommen, schreibt Jared Diamond in der "Süddeutschen Zeitung". Dabei seien die amerikanischen Extremisten, die jeglichen Kompromiss ablehnen, die wahre Bedrohung für die Demokratie.
Der Untergang des Abendlandes ist nicht mehr aufzuhalten. Wem diese Wahrheit unangenehm ist, der möge diesen Feuilleton-Tag überspringen, in der Hoffnung, dass der Wirtschaftsteil bessere Laune macht.
Fangen wir mit Amerika an. Da ist zwar nicht ganz klar, ob das zum Abendland gehört, aber es geht mit unter. Jared Diamond ist Professor für Geographie und hat sich ein spannendes Spezialgebiet ausgedacht, den "Vergleich vom Aufstieg und Fall vergangener und heutiger Gesellschaften". In der Süddeutschen vergleicht er die USA von heute mit dem Chile kurz vor dem Allende-Sturz 1973, was nur einleuchtet, wenn man sich vor Augen führt, dass a) das Vergleichen von Gesellschaften Diamonds selbsterklärter Job ist, und dass dieser b) damals in Chile gewohnt hat. Was er uns sagen will, ist aber eh etwas ganz anderes, nämlich:
"Bei der Frage, was die amerikanische Demokratie bedroht, konzentrieren wir Amerikaner uns heute auf die falschen Dinge. Wir sind besessen von den Bedrohungen, die von außen kommen: von Terroristen und Dschihadisten und aus anderen Ländern. Aber auch wenn Terroristen und Dschihadisten und andere Länder uns weiterhin Probleme bereiten werden, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie die amerikanische Demokratie zerstören, realistisch betrachtet bei null. Die Einzigen, die die amerikanische Demokratie tatsächlich bedrohen – sind wir Amerikaner."
Und zwar weil, so Diamond, die amerikanischen Politiker "dem Druck der amerikanischen Extremisten nachgeben, Kompromisse strikt abzulehnen und im Stillstand zu verharren". Und außerdem: "Keines der Themen, die die Amerikaner derzeit spalten, ist es wert, dafür zu sterben."
Frankreich ändert Schullehrplan
Wer das besorgniserregend findet, hat die Süddeutsche vor der Welt in die Finger bekommen. Da versucht Wolf Lepenies, uns zu erklären, was gerade in Frankreich los ist. "Selbstmord aus Angst vor dem Tod" heißt der Beitrag, dessen Kurzfassung lautet:
"Frankreichs Regierung ändert den Schulpflichtstoff: Aufklärung raus, Islam und Kolonialismus rein. François Hollandes Kritiker sagen den Untergang des Abendlands voraus."
Denn, wie jeder Franzose weiß: Frankreich ist das Abendland. Der Philosoph Michel Onfray, so Lepenies "begnügt sich nicht damit, den Niedergang Frankreichs zu beklagen: Er verkündet das Ende der westlichen Zivilisation: ´Die grausame Wahrheit`", zitiert Lepenies Onfray, "´ist es, dass unsere Zivilisation sich auflöst. Sie hat 1500 Jahre gedauert. Das ist schon viel. Angesichts dieser Tatsache folge ich Spinoza: Weder lachen noch weinen, sondern verstehen. Den Sturz einer Klippe kann man nicht aufhalten`. Amerika lebe auf Pump und werde in absehbarer Zeit von seinem chinesischen Gläubiger fallen gelassen. Toleranz, Fortschritt und Aufklarung seien am Ende."
Und – als habe Onfray Diamond gelesen: "Im Westen… gäbe es niemanden mehr, der bereit sei, für die eigenen Wertvorstellungen zu sterben."
Die FAZ berichtet außerdem, die französische Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem habe ihre Kritiker auf RTL als "Pseudointellektuelle" beleidigt. Jedoch – schließlich geht hier eine Literatur-Nation unter: "´Pseudo` komme aus dem Griechischen und bedeute ´Lüge`, das", berichtet die FAZ, "musste sich die Ministerin von Étienne de Montéty, dem Chef des `Figaro littéraire, erklären lassen."
Deutschland ein Lügen-Land
Womit wir in Deutschland sind. Auch hier geht das Abendland unter. Zumindest wird auch hier in der Politik gelogen. Und wie. Martin Kaul macht es kurz in der taz: "Die Lüge gehört zu Deutschland.""Ja werden wir denn eigentlich nur noch verarscht?", fragt er und antwortet sich selbst und uns sibyllinisch: "Es hat sich, historisch betrachtet, als heilvolle Erfahrung erwiesen, davon auszugehen."
Und die Wahrheit?
"Im politischen Raum wollen wir keine Wahrheiten hören, sondern Meinungen", erklärt Armin Litzel in derselben taz und zwar anhand eines Falls, der nun wirklich auf den Untergang des Abendlandes hindeutet: der Fall Volksbühnenintendanz. Litzel zitiert die Federalist Papers, den "Gründungstext der US-amerikanischen Demokratie" mit dem Satz: "All government rest on opinion".
Womit wir wieder am Anfang wären, in den USA und beim Vergleich niedergehender Kulturen. Sollte er deutsche Feuilletons lesen, weiß Professor Diamond jetzt, dass in Frankreich auch angesichts des Untergangs noch mit mehr Verve, Format und Esprit gelogen wird als bei uns. Wir wussten das auch vorher schon.