Aus den Feuilletons

Eine Kunstschau als Allesfresser

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In Venedig dreht sich sechs Monate lang alles um die zeitgenössische Kunst. © Deutschlandradio - Vladimir Balzer
Von Ulrike Timm |
Die Biennale in Venedig schafft die Kunstkritiker: Manche finden sie schillernd, andere kritisieren sie als überladen. In der "Taz" wird an den 30 Jahre alten Hype um den "Community-Cake" Hermann erinnert − auch große Kunst, auf seine Weise.
Hatten Sie eine Jugend mit Hermann? Dem "Kettenbriefkuchen, dem Community-Cake", dem Sauerteig, den man päppelte und teilte, vor allem immer weiter verteilte an Freunde und Bekannte, die doch auch alle schon Hermann hatten und ihn regelmäßig zu Brot und Kuchen buken, bis sie ihn erschöpft und genervt irgendwann endlich doch eingehen ließen. Aber mit schlechtem Gewissen, denn Hermann hatte schließlich einen Namen, also: Persönlichkeit. "Wo ist eigentlich Hermann?" fragte die TAZ ganz unschuldig – mit Riesenecho. Über 30 Jahre nach der großen Hermann-Welle scheint der überbordende, schwabbelnde, sich invasiv ausbreitende Sauerteig ein verbindendes Element der älter gewordenen Jugend zu sein und bei den Nachkommen wieder schwer in. "Wenn so ein Teig gut gepflegt wird, kann er ewig leben!" – diese Drohung steht am Ende des Selbstversuchs mit Hermann von Christine Luz in der TAZ.
Auch wenn Hermann allein schon von der Konsistenz her ungeeignet ist, eine stabile Brücke zur Biennale nach Venedig zu schlagen, vom Überbordenden, Invasiven, sich Ausbreitenden gibt es dort viel zu erzählen − die Feuilleton-Autoren fühlen sich von der großen Kunstschau wohl ebenso erschlagen. "Disparat und überladen, in der zentralen Biennale-Ausstellung zeigt sich die Kunst nicht als Königsdisziplin, sondern als Allesfresser", moniert Catrin Lorch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Aber, pardon, ist das nicht auch ein wenig wohlfeil, weil kaum anders zu erwarten angesichts von 136 Künstlern, verteilt auf 89 Länderpavillons? Wer da nix "Disparates" sieht, dem wäre wohl von vornherein langweilig... Die SÜDDEUTSCHE hat dem geradezu vernichtenden Urteil von Catrin Lorch denn auch ganz disparat – im Wortsinn: verschiedenartig – die Sicht einer anderen Kollegin gegenüber gestellt und die Zeitungsseite hübsch zweigeteilt. Kia Vahland hat sich den Länderpavillons in Venedig gewidmet, "das große Schillern" entdeckt, und sie wiederum ist ganz angetan. Etwa vom armenischen Künstler, der im türkischen Pavillon Hinterglasmalereien zeigt, vom ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink − "Der Schmerz gewinnt sakrale Weihen, und das Politische wird auf untergründige Weise persönlich", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN.
Auch Julia Voss in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG verzweifelt ein wenig an der schlichten Masse Kunst, die in Venedig aufgefahren wird und der ein verbindender Gedanke ihrer Ansicht nach allzu häufig fehlt: "Wie der Fliegende Holländer gondeln die Stücke unerlöst zwischen den Welten hin und her." Düster seien viele Werke, in der Machart wie in der Aussage, zugleich bleibe vieles "so unverbindlich, dass sich bei einem guten Glas Rotwein auch immer zufrieden brummen ließe: 'ja,ja, so ist die Welt, ein Abgrund."
Die FAZ bleibt in Italien und hängt gleich noch eine Schau dran, die EXPO in Mailand nämlich. Handfester als die Biennale, natürlich, liegt schon am Motto: "Den Planeten ernähren, Energie für das Leben". Das Expo-Gelände sei "vor allem ein Kreuzung aus Rummelplatz und Futtermeile mit integrierten Lerneinheiten zu Ökologie und Landwirtschaft". Und überall wird gegessen: "Was habt Ihr gegessen? Und war es gut?" ist die meistgehörte Frage auf dem Mailänder Expo-Gelände, so die FRANKFURTER ALLGEMEINE. Wer weiß, in irgendeinem Expo-Kühlschrank schlummert bestimmt auch – Hermann. Gespeist mit Milch und Zucker, damit die alkoholische Gärung in Gang kommt und der Sauerteig schwabbelt, gedeiht und duftet – das gehört dazu. Hermann neigt zu Blähungen.
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