Aus den Feuilletons

Eine einzige Farce

Hans-Georg Maaßen im seitlichen Profil, im Hintergrund steht "Demokratie schützen!"
Hans-Georg Maaßen: Kann er die Demokratie überhaupt noch schützen? © AFP
Von Tobias Wenzel · 22.09.2018
Eine Farce zeichnet sich durch die Darstellung von möglichen, aber eher unwahrscheinlichen und völlig überspitzten Szenen aus. Egal ob in Chemnitz auf der Straße, im Bundestag oder beim Bundesverfassungsschutz. Wohin man schaut, nur Theater.
"Realismus? Gibt es in der Farce nicht", schrieb der Dramatiker Moritz Rinke im TAGESSPIEGEL, dachte an das polarisierte Deutschland und die Ereignisse der letzten Wochen. Als er das schrieb, konnte er noch nicht ahnen, dass die Farce in dieser Woche noch farciger werden würde - mit Wegbeförderung von Hans-Georg Maaßen, Kopfschütteln darüber und Neuverhandlung zur Rettung der Großen Koalition.
"Die Dramenform der Farce zeichnet sich ja vor allem durch die Darstellung von möglichen, aber eher unwahrscheinlichen und völlig überspitzten Szenen aus", schrieb Rinke. "Meist wirken die Personen schablonenhaft und alles kreist um den Verfall von Sitten und um Lügen. Die Schauplätze wären auf jeden Fall eine Straße in Chemnitz, die Verfassungsschutzbehörde und das hohe Haus des Bundestages. Und natürlich die deutsche Öffentlichkeit und sogar der Hambacher Forst kommen vor."

Macbeth im Hambacher Forst

Auch Bazon Brock entdeckte im Hambacher Forst Theater, allerdings nicht eine Farce, sondern eine Tragödie, Shakespeares "Macbeth". RWE werde enden wie Macbeth: "Die Macht der Geschichte besteht darin, stets alle Herrschaftspläne und Allmachtsfantasien zu verwirklichen – und sie damit zu vernichten", schrieb der Ästhetik-Professor im Ruhestand in der WELT:
"Die weitsichtigen und deshalb Hexen genannten Frauen, heute Greenpeace-Aktivistinnen, prophezeien bei Shakespeare dem machtgeilen, angemaßten Möchtegernherrscher Macbeth, dass er untergehen werde, wenn sich der Wald von Birnam in Bewegung setze."

Haben Pflanzen Rechte?

"Haben Pflanzen Rechte?", fragte mit Blick auf den Hambacher Forst Rainer Erlinger in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und bemühte Philosophen von Aristoteles über Kant bis Albert Schweitzer, um zu zeigen, wie die Pflanzen im Denken nach und nach wichtiger wurden. Im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz hebe die Schweizerische Bundesverfassung schon die Schutzwürdigkeit der Pflanzen hervor und spreche von der "Würde der Kreatur". Daraus folge allerdings in letzter Konsequenz, dass man einen Grashalm genauso schützen müsse wie uralte Bäume.
Auch stelle sich die Frage: "Was darf man dann noch ruhigen Gewissens essen? Selbst eine streng vegane Lebensweise, die sich an Tierrechten orientiert und deshalb keinerlei tierische Produkte umfasst, wäre plötzlich ethisch fragwürdig. Schließlich würde selbst das Dinkelkorn lieber keimen, als gegessen werden." Im neuen SPIEGEL zitiert Volker Weidermann vorab aus dem Roman "Die Wurzeln des Lebens" von Richard Powers. Ein Baumpflanzer sage zu einem frischen Setzling:
"Halte durch. Hundert Jahre, zweihundert, mehr brauchst du nicht. Ein Kinderspiel für euch. Ihr müsst nur durchhalten, bis wir weg sind. Dann wird niemand mehr da sein, der euch etwas tut." Bis dahin wird der Mensch allerdings auch dem Menschen noch etliche Male an die Gurgel gehen. Und ihn manchmal vorher jagen.

Hetzjagd oder Nacheilverhalten?

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt hält die Szenen in Chemnitz nicht für Hetzjagden. Rechte Demonstranten, die Ausländer verfolgt hätten, hätten vielmehr ein "Nacheilverhalten" an den Tag gelegt. "Nacheilverhalten – man atmet sofort ruhiger, wenn man diese Wort ausspricht", reagierte Peter Kümmel mit Sarkasmus in der ZEIT. "Wer sich beeilt, ist besorgt – er hat berechtigte Angst, zu spät zu kommen. Vermutlich will er das Schlimmste verhindern." Das Nacheilen habe neue Dimensionen erreicht:
"So ist dem Autor Christian Brandes (Künstlername Schlecky Silberstein), Produzent einer Filmsatire über die Chemnitzer Tumulte, in umfassendem Sinn nachgeeilt worden: Der Berliner AfD-Abgeordnete Frank-Christian Hansel ging mit einem Kameramann zur Privatadresse von Brandes' Produktionspartner, filmte das Klingelschild und stellte diesen Film ins Netz. Es begann ein Nacheilverhalten spezieller Art. Die Satiriker erhielten Drohungen, die im Satz 'Wir ermorden euch eines Tages' gipfelten." Und das alles letztlich, weil AfD-Mitglieder, Protagonisten einer gefährlichen Farce, so getan haben, als hätten sie die Satire nicht als solche erkannt.

Tausche Bauexperte gegen Sicherheitsexperte

Niklas Maak bezeichnete es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nicht als Farce, aber als "böse wie vielsagende Pointe", dass Horst Seehofer, dessen Ministerium auch für Bau zuständig ist, für die Beförderung Maaßens auf den Posten eines Staatssekretärs Gunther Adler rauswerfe, "den letzten Mann in seinem Ressort, der sich wirklich profunde mit Baupolitik" auskenne:
"Ob es eine kluge Idee ist, einen Bauexperten gegen einen Sicherheitsexperten einzutauschen, wird sich zeigen, denn die Wohnungspolitik wird in Deutschland auf ihre Weise immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko, zu etwas, woran der gesellschaftliche Zusammenhalt auf eine viel fundamentalere Weise scheitern könnte als an der Migrationspolitik."

"Krch-krch-krch-krch-krch"

Am Ende haben Ernie und Bert immer zusammengehalten. "War doch klar: ein Ehepaar", titelte die TAZ zu einem großen Foto der beiden. Mark Saltzman, in den 80ern Drehbuchautor der "Sesamstraße", bestätigte nämlich dem Online-Nachrichtendienst "Queerty", was schon viele vermutet hatten: Ernie und Bert sind schwul. Saltzman habe seine eigene homosexuelle Beziehung in den Dialogen verarbeitet. Die Produzenten widersprachen umgehend dem Drehbuchautor. Daraufhin ruderte auch Saltzman zurück und sagte, er habe sich missverständlich ausgedrückt. Eine Farce eben, wie überhaupt die Feuilleton-Woche.
"Was würden Ernie und Bert dazu sagen?", fragte Ursula Scheer in der FAZ und gab gleich selbst die Antwort: "Wahrscheinlich würden sie nur lachen. Bert im Stakkato: Ha-ha-ha-ha-a. Ernie kehlig Krch-krch-krch-krch-krch. Und dann würden sie gemeinsam ins Schlafzimmer gehen."
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