Aus den Feuilletons

Ein Verfechter der religiösen Toleranz

Navid Kermani hält am 18.10.2015 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nach der Auszeichnung seine Dankesrede
Navid Kermani hält am 18.10.2015 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nach der Auszeichnung seine Dankesrede © picture alliance/dpa/Arne Dedert
Von Tobias Wenzel · 18.10.2015
Der Friedenspreisträger Navid Kermani hat eine aufrüttelnde Rede in der Frankfurter Paulskirche gehalten. Der deutsch-iranische Schriftsteller appellierte dabei eindringlich an den Westen, den Krieg in Syrien und dem Irak zu beenden - die Zuhörer waren ergriffen.
"Schäuble bangt um seine schwarze Null. Am liebsten würde er den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge senken. Eine Provokation?"
Das fragt die TAZ Friedrich Küppersbusch. Und der antwortet erfrischend sarkastisch:
"Da die Flüchtlinge zu Fuß über Autobahnen kamen, fehlt mir ein neues Solo von Seehofer für 'Ausländermaut'."
Einen ganz anderen Ton schlug der deutsch-iranische Autor Navid Kermani in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche an, als neuer Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels.
"Kermanis Dankesrede war frei von Geraune", schreibt Franziska Augstein in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Sie war fulminant. Sie war mutig."
"Kermanis Kampfansage" hat Richard Kämmerlings seinen Artikel für die WELT genannt. Gemeint ist die Aufforderung Kermanis, eines energischen "Verfechters der religiösen Toleranz", in Syrien einzugreifen, sich also gegen den Islamischen Staat zur Wehr zu setzen. In den Worten Kermanis:
"Womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich".
Zuhörer mussten ihre Tränen verbergen
Kämmerlings beschreibt die Stimmung in der Frankfurter Paulskirche, als Navid Kermani am Ende seiner Rede die Anwesenden bittet, nicht zu applaudieren und stattdessen für die Opfer des Islamischen Staats zu beten, namentlich für die 200 entführten Katholiken einer syrischen Gemeinde. Wer wolle, dürfe beim Beten gerne aufstehen, um den Propaganda-Videos des IS ein Bild der Brüderlichkeit entgegenzusetzen:
"Spätestens hier mussten viele Zuhörer ihre Tränen verbergen", schreibt Kämmerlings in der WELT.
"Es war ein Moment höchster Ergriffenheit, wie ihn der Friedenspreis in seiner jüngeren Geschichte noch nie erlebt haben dürfte. Ein Moment tiefer Trauer, aber auch der Hoffnung."
Und das am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse. Ein "wahres Politik-Diskussionsfeuerwerk" sei die diesjährige Messe gewesen, urteilt Kathleen Hildebrand in der SZ.
"So wird Literarisches politisch, ohne seine Kunstfertigkeit einzubüßen", schreibt Andreas Platthaus in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Kermanis Rede, meint aber auch die Werke der (allerdings in Frankfurt abwesenden) neuen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, Ilija Trojanows Buch "Macht und Widerstand" über das postsozialistische Bulgarien, Jenny Erpenbecks Roman "Gehen, ging, gegangen" über afrikanische Flüchtlinge in Berlin und Salman Rushdies Rede zur Eröffnung der Messe.
"Vom Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises bis zur Verleihung des Friedenspreises haben wir zehn literarische Tage erlebt, die die Welt verbesserten", behauptet Platthaus.
"Nicht, weil man mit der Kraft des Wortes allein von Stockholm oder Frankfurt aus die politischen, militärischen und religiösen Schrecken bannen könnte, sondern weil es überhaupt wieder Schriftsteller gibt, die sich ins Weltgeschehen einmischen und dabei höchste ästhetische Ansprüche erfüllen."
Dosenfleisch als Lohn
Finanzielle Ansprüche hatten 65 Mitarbeiter des Nationalmuseums von Bosnien-Herzegowina in Sarajevo. Vergebliche Ansprüche. Vier Jahre lang haben diese Idealisten ohne Lohn gearbeitet. Auch der Kurator der mittelalterlichen Sammlung Mirsad Sijarić. Ihn lässt Nadia Pantel in ihrem SZ-Artikel zur Wiedereröffnung des Nationalmuseums zu Wort kommen.
Schon als Archäologie-Student, direkt nach dem Bosnien-Krieg, habe Sijarić praktisch kostenlos im Museum gearbeitet. In den Worten von Nadia Pantel:
"Zwei Jahre lang schleppte er in den großen Hallen Sandsäcke und Schutt, um die Spuren der Verwüstung zu beseitigen. Sein Lohn an seinem ersten Arbeitstag waren ein paar Büchsen Dosenfleisch. Am nächsten Tag nahm ihn einer seiner Mitarbeiter zur Seite, es tue ihm schrecklich leid, aber ob er die Dosen wieder mitbringen könne? Wenigstens die mit Lammfleisch?"
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