Aus den Feuilletons

„Ein höchst aktueller Großstadtroman“

Seit 25 Jahren Leben im Versteck: Salman Rushdie
Seit 25 Jahren Leben im Versteck: Salman Rushdie © picture alliance / dpa
Von Tobias Wenzel |
Anlässlich 25 Jahren Fatwa gegen Salman Rushdie beschäftigt sich die FAZ noch einmal mit seinem Buch „Die satanischen Verse“ – und ist begeistert. Lobeshymnen gibt es auch für ein 13 Jahre währendes Filmprojekt.
„Hätte es dieses ‚Google‘ schon 1989 gegeben, hätte sich der Mordaufruf gegen ihn so schnell und rapide verbreitet, dass er keine Chance gehabt hätte.“
So Salman Rushdie über sich selbst in seiner in der dritten Person geschriebenen Autobiographie. An diesem Freitag vor genau 25 Jahren verkündete Ajatollah Chomeini über Radio Teheran seine Fatwa gegen den Schriftsteller, ein Todesurteil, der Aufruf an Muslime, Rushdie umzubringen, weil er mit seinem Roman „Die satanischen Verse“ „den Islam, den Propheten des Islam und den Koran“ beleidigt habe. Rushdie hat überlebt, sein japanischer Übersetzer wurde ermordet. An all das erinnert Jochen Hieber ausführlich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Hieber hat den Roman noch einmal gelesen – und ist begeistert. Nicht nur wegen des satirischen Umgangs Rushdies mit dem Islam. „Die satanischen Verse“ seien „auch ein immer noch höchst aktueller Großstadtroman und ein anrührendes, aufrührendes indisch-englisches Migrantenepos.“
Chomeini sei zwar 1989 nahezu blind gewesen. Aber er habe sich das Buch einem BBC-Journalisten zufolge ins Persische übersetzen und dann vorlesen lassen. Mit bekannter Folge: dem Todesurteil.
Ein Lobesurteil, und zwar ein euphorisches, zieht sich durch die Feuilletons. Richard Linklaters Berlinale-Beitrag, der Film „Boyhood“, gedreht in dreizehn Jahren mit denselben Hauptdarstellern, lässt die Filmkritiker schwärmen. Linklater sei es gelungen, den Traum großer Filmregisseure Wirklichkeit werden zu lassen, „die engen Grenzen des Kinos zu sprengen“, schreibt Andreas Kilb in der FAZ.
„Was für ein Experiment, was für ein Ergebnis“, ruft Barbara Möller in der WELT aus. Und Jan Schulz-Ojala vom TAGESSPIEGEL fasst die Stimmung der Filmkritiker wohl mit dem Satz zusammen: „Jetzt muss nur noch der Bär her.“
Die Goldene Himbeere scheint der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister George Clooneys Film „Monuments Men“ zu wünschen. Dem Experten für den Schutz von Kunst im Zweiten Weltkrieg wurde ganz anders beim Betrachten des Films. „Was wir sehen, ist Hollywood, ist Indiana Jones, Disneyland, Klischee“, schreibt Fuhrmeister. Damit könnte er ja noch leben. Das Problem des Films: „Er setzt auf Anteilnahme und Spannung und will zugleich Geschichtsunterricht geben“. Der Film nehme „gravierende historische Fehler in Kauf“ oder übernehme sie einfach aus der Buchvorlage, behaupte, die Amerikaner seien zuerst und sie allein auf die Idee gekommen, eine Abteilung zum Schutz von Kunstgütern zu gründen. Dabei, so der Kunsthistoriker, hätten auch deutsche Idealisten im Ersten und Zweiten Weltkrieg große Projekte zum Schutz der Kunst durchgeführt. Aber so etwas passe wohl nicht in die Schwarz-weiß-Malerei von Clooneys Film. „Sind wir reflektiert oder simpel?“, fragt Fuhrmeister provozierend und meint den Umgang mit Quellen und Fakten.
Die kann jetzt jeder im Internet einsehen, zum Ersten Weltkrieg. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG räumt der neuen europäischen Datenbank zum „Großen Krieg“ gleich eine ganze Seite ein. Zwölf bedeutende Bibliotheken, außerdem Museen, Archive und Privatleute haben ihre Dokumente ins Netz gestellt. Aber was genau? Die SZ gibt Beispiele. Eines davon: das Foto eines weißen Kragens, in dem ein Glassplitter steckt. Mit diesem Kragen hatte sich der britische Zivilist Sidney Elkins im doppelten Sinne des Wortes korrekt gekleidet, als am 13. Juni 1917 deutsche Flugzeuge London bombardierten und auch die Firma trafen, in der Elkins arbeitete. Elkins stand in dem Moment auf der Straße, um die Flugzeuge am Himmel zu beobachten. In den Worten der SZ:
„Die Fenster des Gebäudes explodierten, eine sechs Zentimeter lange Glasscherbe traf Elkins am Hals. Da er aber einen frisch gestärkten steifen Kragen trug, blieb das Projektil unschädlich darin stecken. Sidney Elkins kam mit ein paar Kratzern im Gesicht davon, während Kollegen, die sich wie angeordnet im Aufzugschacht untergestellt hatten, starben.“