Aus den Feuilletons

Ein Hoch auf das Halluzinationshalligalli!

04:24 Minuten
Die Schauspieler Maria Happel und Michael Maertens sitzen auf der Bühne des Wiener Akademietheaters in der Inszenierung von Eugène Ionescos "Die Stühle" zusammen auf einem Stuhl und lachen.
Halligalli auf der Bühne: Maria Happel und Michael Maertens spielen in "Die Stühle" am Wiener Akademietheater. © Georg Soulek/Burgtheater
Von Ulrike Timm |
Audio herunterladen
Eine Peymann-Inszenierung in Wien - ohne den erkrankten Claus Peymann. Mit Leander Hausmann als Ersatzregisseur sind die Feuilletons nicht zufrieden und konstatieren: Jahre nach Peymanns Abgang als Burgtheater-Chef hat man ihn an der Donau wieder lieb.
"Halluzinationshalligalli" – was für ein Wort! Wie genüsslich man es mit seinen drei doppelten "l" über die Zunge rollen lassen kann, Halluzinationshalligalli, einfach wunderbar.
Entschlüpft ist dieses Wort Simon Strauss in seiner Kritik von Eugène Ionescos tragischer Farce "Die Stühle" im Wiener Akademietheater. Die Inszenierung stand unter keinem guten Stern, erst brach sich die Hauptdarstellerin den Fuß, dann erkrankte Theatergroßmeister Claus Peymann, und Ersatzregisseur Leander Hausmann traute sich wohl nicht recht, wirklich Hand an zu legen. "Peymann muss unbedingt wieder gesund werden. Denn das kann er besser", resümiert Simon Strauss ein bisschen traurig in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, aber dieses Wunderwort, Halluzinationshalligalli, das klauen wir ihm irgendwann mal!
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG präsentiert keine Wortschöpfung, ist auch nicht so recht begeistert von der Peymann-ohne-Peymann-Inszenierung, meint aber: "Je länger Claus Peymann aus Wien weg ist, desto beliebter ist er hier." Die Burgtheaterintendanz von Claus Peymann liegt schon gut zwanzig Jahre zurück und war eine sehr laute, aber verklärt sich in Wien im Nachhinein. "Ein Stuhl blieb frei", so spielt die SÜDDEUTSCHE auf Peymanns Erkrankung an, gute Besserung von hier!

Die Wut der FAZ über die Kulturminister

Ob Halluzinationshalligalli besonders förderungswürdig ist? Wohl eher nicht! Es bezieht nicht politisch Stellung, reflektiert nicht unbedingt gesellschaftliche Fragen und bleibt beschämend unengagiert, was die freiheitlich demokratische Grundordnung angeht! Das wird nix … und damit zum wütendsten Artikel des Tages.
Paul Ingendaay von der FAZ hat sich geärgert. Aber so richtig. Über die hochtönende Erklärung zur künstlerischen Freiheit der "Kultur MK", das ist die Kultur-Ministerkonferenz, nicht zu verwechseln mit der Kultusministerkonferenz KMK. Was haben die Kulturminister angestellt? Nichts, aber das unter Verbrauch jeder Menge Wörter. Ingendaay wettert:
"Überflüssig, so steht es im Online-Duden, kann heißen: entbehrlich, nicht notwendig, nutzlos, ohne Sinn und Zweck, zu viel. Feiner ausgedrückt: redundant. Die 'Gemeinsame Erklärung der Kulturminister der Länder zur kulturellen und künstlerischen Freiheit' ist genau das oben Genannte. Alles. Wirklich. Denn die Länder bekennen sich darin zum Schutz einer Sache, die längst geschützt ist, und zwar durch das Grundgesetz, Artikel 5: 'Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.' Man könnte noch einen anderen Satz daraus zitieren: 'Eine Zensur findet nicht statt.' Oder einen dritten: 'Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.' Damit ist alles gesagt. Mehr brauchen wir nicht."

Schlechte Zeiten für kreative Spinner und Querköpfe

Diese schönen, klaren Sätze unseres Grundgesetzes nun hat die Kulturministerkonferenz KM hochgeschwurbelt – und, in bester Absicht, geschwächt, denn sie "bekennt sich dazu, die kulturelle Vielfalt einer freien und offenen und demokratischen Gesellschaft zum zentralen Maßstab ihrer Entscheidungen zu machen. Das klingt nicht nur gruselig, sondern auch deutungsbedürftig, dafür muss es Gremien geben, Jurys, Fördermittel. Jeder kann sich vorstellen, welche pädagogische Kunst wir da zu sehen kriegen. Schlechte Zeiten für Risikospieler, Querköpfe, kreative Spinner und Unengagierte". Sagt die FRANKFURTER ALLGEMEINE.
Den "Geist der unbegrenzten Möglichkeiten" beschwört die SZ, die in einer neuen Serie zur Künstlichen Intelligenz Wissenschaften und Kultur zusammenbringen will. Der erste Essay stammt von einem der Stars der Szene, John Brockman, der in Siebenmeilenstiefeln zitatenreich eine "kurze Geschichte des Nachdenkens über künstliche Intelligenz" durchschreitet.

Aida und Caruso treiben es miteinander

"Wie Aida den Sex mit Caruso empfindet" hat der Komponist Micha Hamel zu ergründen versucht. In seiner neuen Oper, vorgestellt beim Opera Forward Festival in Amsterdam, probieren sie es miteinander, Aida und Caruso. Das geht nur in der Oper und gerät ein bisschen schmierig. Aber, so meint Jan Brachmann in der FAZ: "Singen kann man noch, worüber man nicht reden sollte."
Mehr zum Thema