Aus den Feuilletons

Ein großer Poet

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Morrissey-Konzert zu Ehren des Friedendsnobelpreises - 2013 in Oslo © picture alliance / dpa / Terje Bendiskby
Von Arno Orzessek  · 10.07.2014
In der "FAZ" schreibt eine Online-Redakteurin über beleidigende Leserbriefe an Zeitungsredaktionen. Die "SZ" rezensiert das neue Buch von Thomas Steinfeld unter der Überschrift "Esoterischer Unfug", und die "TAZ" lobt das neue Morrissey-Album.
Eine Frage vorab, liebe Hörer:
Schreiben Sie gelegentlich Leserbriefe an Zeitungsredaktionen? Und verletzten Sie dabei bisweilen alle Regeln des Anstands? Kotzen Sie sich dann so richtig gossenmäßig aus - ehrabschneidend, obszön und beleidigend?
Nein?... So etwas tun Sie nicht? - Prima!
Denn es gibt fürwahr andere Leute - und über die beschwert sich die Online-Redakteurin Andrea Diener in der FRANKURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Ich bin Journalist. Das bedeutet, dass so ungefähr jeder meiner Leser glaubt, meinen Job fünfmal besser erledigen zu können als ich, es aber nicht tut, weil er das Gehalt zu mickrig findet. Und da bleibt ihm nur eins: Beschimpfung. Ein freundlicher Briefeschreiber schickte der Online-Redaktion vor einigen Tagen folgende Mitteilung: 'Hallo Zensor-Arschloch. Schreib doch die Kommentare selbst. Du kleiner Flach-Wichser.' Ein anderer merkte an: 'Stalin, Pol Pot, die Kims sind Waisenknaben gegen Ihre Zensur. Die FAZ ist ein WIDERWRÄTIGES MANIPULATIONS- und AGITATIONSINSTRUMENT.'"
Diener weist darauf hin, dass "die meisten Beleidigungen aus einer politischen Richtung kommen, die man früher einmal als 'konservativ' klassifiziert hätte" - von Menschen also, die zu anderen Zeiten Wert auf Umgangsformen legten.
"Mittlerweile [betont die FAZ-Autorin] haben sich die Verhältnisse umgedreht. Höflichkeit gilt dem konservativen Kommentartroll als 'Gutmenschengetue', jegliche Standards gepflegten Umgangs lehnt er ab. Eine Gemeinschaft gilt ihm nur dann etwas, wenn sie aus Gleichgesinnten besteht, alles Abweichende wird ausgeschlossen. [ ... ] Er beleidigt schonungslos, besonders gerne Minderheiten, und wer ihn zurechtweist, wird als 'Zensor' diffamiert. Er wähnt sich unterdrückt, gegängelt, von einem linken Medienmainstream mundtot gemacht und kompensiert die vermeintliche Hilflosigkeit mit Unflat."
So das Sittengemälde von Andrea Diener in der FAZ. -
Zeitkritik übt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auch der amerikanische House-Produzent und Transgender-Musiker Terre Thaemlitz alias DJ Sprinkles ... Der/die sich übrigens wie folgt vorstellt:
"Man könnte mich als unoperierte Mann-Frau-Mann-Frau bezeichnen. Eigentlich bin ich jemand, der mit einer Geschlechts-Inkonsistenz lebt und eine Beziehung zu seinem Körper hat, die nicht medizinisch determiniert ist."
Angesprochen auf Conchita Wursts Erfolg beim Eurovision Song Contest 2014 winkt Thaemlitz ab:
"Dass Dragqueens zu Belustigung eines heterosexuellen Mainstreams auftreten, ist nichts Neues. Was mich stört, ist der Umstand, dass die Medien das jetzt quasi als Sieg für alle Transgender-Menschen abfeiern. Dabei handelt es sich ja nur um einen banalen Musikwettbewerb voll beschissener Pop-Musik. Diese Episode trägt gar nichts dazu bei, die Mechanismen von Unterdrückung und Gewalt zu entblössen, denen Transgender-orientierte Menschen oft ausgesetzt sind."
Dass Toleranz nicht überall in Mode ist, bestätigt auch eine Meldung der BERLINER ZEITUNG:
"Singapur zensiert Kinderbuch mit schwulen Pinguinen."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zensiert nicht - sie rezensiert.
Und zwar in Person von Thomas Steinfeld, der unter der Überschrift "Esoterischer Unfug" das Werk "Alles, was leuchtet. Wie große Literatur den Sinn des Lebens erklärt" der amerikanischen Philosophen Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly zerfleddert:
"Dieses Buch ist, in jeder Hinsicht, eine Zumutung." -
In der TAGESZEITUNG bespricht Jens Uthoff "World Peace Is None of Your Business", das neue Album von Steven Patrick Morrissey ...
Dem Vegetarier und Weltschmerzbarden, über den - TAZ-Autor Uthoff erwähnt es - Intimfeind Robert Smith von The Cure einst sagte: "What Morrissey needs is a steak and a good fuck."
Wir lassen das unübersetzt - zumal Jens Uthoff Morrisseys Album so lobt, als hätte der sein Steak gegessen:
"Morrissey ist trotz alldem noch gut. Sogar verdammt gut. Wobei er sicher kein großer Musiker mehr ist, aber ein umso größerer Poet." -
Nun denn. Welches Feuilleton auch immer Sie lesen, liebe Hörer - wir wünschen Ihnen, mit einer NZZ-Überschrift, "Geistreiche Überraschungen".
Sondern - im Gegenteil - mit dem "Turnier ohne Ball", mit dem sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG befasst.