Aus den Feuilletons

Ein fragiles Frühlingsgefühl

04:21 Minuten
Ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz hängt an einem Gestrüpp im Gegenlicht der tiefliegenden Sonne.
Kommt bald tatsächlich das Ende der Pandemie? © imago-images / Stefan Zeitz
Von Hans von Trotha · 24.05.2021
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Licht am Ende des Albtraums? "Die Welt" spürt einem fragilen post-pandemischen Lebensgefühl nach, und der "Tagesspiegel" findet, dass der 200. Jahrestag der Eröffnung des Berliner Konzerthauses genau zur rechten Zeit kommt.
Frühlingserwachen. War je so viel Mai?
Sarah Pines beschreibt für DIE WELT, wie sich das in Paris anfühlt: Da "entsteht an diesem Tag Sehnsucht, nach Vergangenem, nach der Gegenwart, nach Relikten wilderer Zeiten. Stattdessen: eine Stadt im Einkaufsrausch, behangen mit Tüten und Taschen. Von Konsum zu Kunst ist es nie weit. Abends, rötlicher, langsam dunkel werdender Himmel. Im 17. Arrondissement lehnen zwei junge Frauen auf dem Balkon des oberen Stockwerks. Sie halten Zigaretten in der Hand, unter ihnen das weißliche Häusermeer. 'Es scheint, dass das Leben wieder beginnt'", sagt die eine.

Ist jetzt schon fast Post-Pandemie oder doch nicht?

Und da gilt in besonderem Maß, was Florian Illies im TAGESSPIEGEL feststellt: "Niemand will erinnert werden, jeder will das Neue sehen." Aber Illies versucht es trotzdem mit Erinnern. Anlass ist der 200. Jahrestag der Eröffnung des Berliner Konzerthauses. Der Autor meint, dass wir hier "den perfekten Ort haben, um im Gestern auszuruhen. Und um nach dem Ruhen im Gestern für das Morgen wacher zu sein".
Und womöglich hat er sogar Recht. Aber das Timing ist denkbar schlecht gerade in dieser Woche, wo das Gefühl noch so fragil ist, die Post-Pandemie-Zeit könnte tatsächlich angebrochen sein.
An dieser Epochen-Schwelle stellen sich den Feuilletons ein paar fundamentale Fragen. Eine davon zitiert Patrick Bahners in der FAZ: "Droht bei einem Wahlsieg der Grünen die Abschaffung Deutschlands?" Bahners folgt den "bizarren Theorien des CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen". Zitiert wird unter anderem aus dem You-Tube-Stream "Maaßens Wochenrückblick". Es fällt der Begriff "Ökosozialismus".

Die Ängste des Hans-Georg Maaßen

Das, meint Patrick Bahners, "sieht wie ein Schlagwort aus, dem man auch in einem Leitartikel der WELT begegnen könnte. Die Dringlichkeit von Maaßens Warnung ergibt sich indes erst aus seiner Ansicht darüber, wie nah die Ideen der Grünen ihrer Realisierung schon sind, und zwar unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl. Man muss nämlich befürchten, dass 'die Krise von Leuten wie beim Weltwirtschaftsforum oder von Globalisten oder von Neosozialisten zum Anlass genommen wird, eine sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsform zu errichten'. Das", vermutet Patrick Bahners, "würde man nun in der WELT wohl nicht so lesen."
Dafür lesen wir dort die Frage: "Wer hätte unsere merkwürdig neue Normalität besser reflektieren können als Ionesco oder Beckett?" Gestellt wird sie von Magnus Klaue, der das derart beschworene dramaturgische Prinzip des absurden Theaters auf die Formel bringt: "Folgt der Regel und fragt nicht, warum!" Doch muss Klaue feststellen: "Das Lernen vom Absurden Theater blieb aus. Damit", meint er, "wurde eine große Chance verpasst."
Er stellt seine Frage auch konkret: "Hätte es sich nicht geradezu aufgedrängt, Versionen von Eugène Ionescos 'Die Nashörner' zu inszenieren, in denen den Figuren ihr Horn als metaphorischer Mund-Nase-Schutz auf dem Gesicht klebt?" - Nein. Hätte es nicht.
Das gibt Klaue auch zu: "Zweifellos wären diese Inszenierungen misslungen gewesen". Aber, meint er, "auch der misslungene Versuch hätte von dem Gespür gezeugt, dass dem, was gerade geschieht, am ehesten das Absurde Theater gerecht wird."

Ein "etwas anderer" italienischer ESC-Gewinner

Dazu gehört offenbar auch, dass eine römische Band mit dänischem Namen den Eurovision Song Contest gewinnt. Schließlich stellt Oliver Meiler in der SÜDDEUTSCHEN die Frage: "Steht dieser ESC-Sieg für die neue Zeit nach der Pandemie?"
"Måneskin, das ist Dänisch für Mondlicht", übersetzt Meiler und erzählt: "Früher hieß es immer, die RAI, Italiens öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, wolle gar nicht, dass Italien den europäischen Wettbewerb gewinne. Es sei viel zu teuer, den Anlass im eigenen Land auszutragen."
Jetzt ist es aber passiert. Und die Zeitung La Repubblica behauptet gleich, "der Triumph von Måneskin trage eine klare Botschaft in sich", nämlich: "Nichts kann mehr sein wie vor der Pandemie."
"Die Lockdowns und Shutdowns von Träumen", erinnert Oliver Meiler, "sie waren gerade für diese Generation eine Prüfung."
Das stimmt auf jeden Fall. Aber nicht ganz so schnell, bitte, liebes Feuilleton. Nicht nur diese Generation, wir alle müssen uns jetzt ja erst einmal daran erinnern, wie das war vor der Pandemie. Wenn wir das dann wieder drin haben, dann könnt ihr uns sagen, wie es weitergeht - und was ihr eigentlich genau meint, wenn ihr euch Überschriften ausdenkt wie: "Italienisch, aber anders."
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