Aus den Feuilletons

Ein Fall von vorauseilendem Gehorsam?

Teilnehmer der Kundgebung "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" des Zentralrats der Juden in Deutschland stehen am 14.09.2014 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Zusammen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten demonstrieren mehrere tausend Menschen gegen Antisemitismus.
Thema in den Feuilletons: Ein Dokumentarfilm über Judenhass in Europa, dem Arte die Ausstrahlung verweigert. Das Foto zeigt Teilnehmer einer Kundgebung gegen Judenhass des Zentralrates der Juden in Deutschland. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Tobias Wenzel · 08.06.2017
Der Kultursender Arte bekommt es zum 25. Geburtstag knüppeldick von den Feuilletons des "Tagesspiegels", der "FAZ" und der "Berliner Zeitung" um die Ohren gehauen: Heftig wird die Weigerung kritisiert, eine Dokumentation über den Hass auf die europäischen Juden zu senden.
"Wenn man Geburtstag feiert, möchte man doch eigentlich nur Gutes gesagt bekommen", schreibt Markus Ehrenberg in Anspielung auf 25 Jahre Arte im TAGESSPIEGEL. Da ist dem Leser schon klar: Jetzt kommt etwas Schlechtes. Zumal bei der Überschrift "Zensur bei Arte?"
Arte weigert sich, die vom WDR redaktionell betreute und eigentlich abgenommene Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa" von Joachim Schroeder und Sophie Hafner zu senden. Seit Tagen ist das Thema in den Feuilletons. Antisemitismus-Experte Götz Aly, der den Film gesehen und für sehr gut befunden hat, sprach in der BERLINER ZEITUNG von "Zensur". Michael Hanfeld, den Götz Aly aufgrund eines Artikels übrigens mal als antisemitisch bezeichnet hat, warf in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Arte und dem WDR "Feigheit" vor, "sich mit dem wachsenden Antisemitismus auseinanderzusetzen."

Das Erstarken des Antisemitismus

Und nun berichten die Feuilletons weiter über den Fall. Claudia Tieschky gibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die offizielle Begründung von Arte wieder, warum der Sender die Dokumentation nicht ausstrahlen will: "Arte habe einen Film bestellt über das aktuelle Erstarken des Antisemitismus ‚unter anderem in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland‘. Dagegen konzentriere sich das gelieferte Produkt inhaltlich hauptsächlich auf den Nahen Osten." Der Mitautor des Films Joachim Schroeder hält im TAGESSPIEGEL dagegen: "In über fünf Monaten gab es keine inhaltliche Auseinandersetzung vonseiten Arte oder WDR mit uns oder der zuständigen Redakteurin", wird er von Markus Ehrenberg zitiert. "WDR und Arte verhalten sich wie früher das ZK."
Der Historiker Michael Wolfssohn, ebenfalls Gutachter des Films, sagt in derselben Zeitung: "Es ist völlig klar, dass wer auch immer im vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem islamistischen Terror einknickt." Terror lohne sich also offensichtlich für Terroristen.

Zweitklassige Documenta?

Und lohnt sich die Documenta 14 in Kassel für die Besucher? "Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, dass ein überbesetztes Kuratorenteam zweitklassige Werke aus möglichst weiter Entfernung benutzt, um ihr Desinteresse am Status quo der Kunst zu demonstrieren", findet Kolja Reichert klare Worte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und nennt "banalste Beispiele möchtegernpolitischer Konzeptkunst. Dan Peterman hat in einer Duisburger Fabrik, die auf das Recyclen von Stahlstaub spezialisiert ist, achtzig Tonnen Stahlbarren bestellt und diese hier und an anderen Ausstellungsorten abladen lassen, wo sie nun liegen wie der Altschrott einer wohlfeilen Referenzkunst, die Gleiches mit Gleichem aufwiegt und nichts sagt."
"Ist die zeitgenössische Kunst vielleicht am Ende?", fragt Swantje Karich in der WELT. "Das Drama dieser Documenta ist, dass sie diesen Eindruck stützt, obwohl sie das Gegenteil erreichen wollte." Aber man könne eben keine Revolution auslösen mit diesem "braven Multikulti", mit Kunst, die "extrem schwach" sei.

Es wird mehr geheult

"Wir haben wohl mehr Heulsusen als früher" – mit dieser Titelzeile, ebenfalls in der WELT, kommentiert Matthias Heine nicht etwa seine Documenta-kritische Kollegin. Heine ist in seiner Redaktion der Mann fürs Metasprachliche und Begriffsgeschichtliche. Jetzt hat er sich verliebt. In "Mimimi", das lautmalerische Wort: "Als Interjektion ruft man es jemandem entgegen, dem man unterstellt, er entlarve sich selbst durch weinerliches Gequengel." In Deutschland sei das Wort, das auch substantiviert gebraucht werde (zum Beispiel im "Zeit online"-Titel: "AfD und Zentralrat der Muslime: Vereint im Mimimi") zuerst im Internet aufgetaucht. Mittlerweile habe es sich aber "völlig etabliert". Heines Fazit: "Es gehört also in den Duden. So schnell wie möglich." Wem das nicht passt, der kann ja heulen: Mimimi.
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