Aus den Feuilletons

Ein bisschen Hetze geht nicht

Pegida-Demonstranten vor der Semperoper in Dresden
Pegida-Demonstranten am vergangenen Montag vor der Semperoper in Dresden, wo Acif Pirinçci als Hauptredner auftrat. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler/
Von Arno Orzessek · 20.10.2015
Ein Autor der "Taz" wundert sich: Dass einige Pegida-Anhänger in Dresden auf die KZ-Rede von Acif Pirinçci mit Zwischenrufen wie "Keine Hetze!" reagierten, sei "irre". Ob diese etwa eine "freundliche Schmusehetze" erwartet hätten, fragt er sich.
"Ein bisschen Schmusehetze" – überschreibt die verlässlich sarkastische TAGESZEITUNG ihren Rückblick auf den ersten Jahrestag von Pegida in Dresden. Dort überforderte der Wüterich Akif Pirinçci mit seinen Unflat-Kaskaden tatsächlich einige Zuhörer, wie TAZ-Autor Uli Hannemann berichtet:
"An diesem Abend spricht (Pirinçci) von der 'Moslemmüllhalde', zu der Deutschland zu werden droht. Es fallen die Worte 'Gauleiter' und 'Umvolkung'. Ironisch bedauert Pirinçci weiter: 'Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.' Denn dorthin würden Politiker, 'die den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt' haben, den deutschen Michel gerne sperren, nur weil der gerne unter sich bliebe."
Hannemann notiert, dass es für die KZ-Bemerkung Applaus gegeben habe – aber später auch "'Keine Hetze'"-Zwischenrufe. Was der TAZ-Autor schlicht "irre" findet:
"Was haben diese Zwischenrufer denn bitte nur gedacht, wo sie sind: bei einem Kindergeburtstag? Dass sie in eine Jauchegrube springen können, ohne braun zu werden? Wie bescheuert ist das denn! Sie wollen lieber so ein bisschen Halbhetze, ein Hetzchen, eine freundliche Schmusehetze, so in der Richtung 'Ausländer raus mit Tschüss-Sagen und Erinnerungs-Selfie', statt sie umzubringen."
Wir bleiben bei der sogenannten Flüchtlingskrise, wechseln aber die Tonlage.
Einwanderung keine Nebensache
Unter der griffigen Überschrift "Genug gefrickelt" proklamieren Aladin El-Mafaalani und Mark Terkessidis in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:
"Die Herausforderungen der Einwanderung lassen sich nicht nebenbei erledigen: Wir brauchen ein Bundesministerium für Migration."
Zwar konzedieren die SZ-Autoren, in verschiedenen staatlichen Institutionen sei hier und da Expertise vorhanden, aber eben zersplittert-unstrukturiert. Weshalb etwa die Folgen des Syrienkriegs komplett unterschätzt worden seien.
Mafaalanis und Terkessidis' Vorschlag lautet nun im Detail:
"Alle Prozesse (Islamkonferenz, 'Integrationsgipfel', interkulturelle Öffnung), die verteilten behördlichen Zuständigkeiten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Antidiskriminierungsstelle) sowie die Kompetenzen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung könnten zusammengelegt werden. Dadurch wären Einwanderung und Integration sowie Fluchtursachenbekämpfung in einer Hand. Es wäre ein bedeutendes Ministerium und würde der Tatsache gerecht werden, dass Migration eine zentrale Herausforderung für das gesamte gesellschaftliche Leben ist."
Die Schweiz als Labor des Populismus
Unterdessen hat die Schweiz am vergangenen Sonntag recht rechts gewählt. Und der Publizist Roger Köppel, Chef der "Weltwoche", unerbittlicher Verteidiger des Volksentscheid-Modells, zieht für die rechtsnationale Schweizer Volkspartei SVP ins Parlament ein.
Was dem - in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ausgetragenen - Streit zwischen Köppel und dem Schweiz-Kritiker Lukas Bärfuss weitere Brisanz verleiht. Nun schlägt sich Raphael Groß, Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt, in der FAZ auf die Seite von Bärfuss.
"Der Schweiz steht mit der neuen rechtsnationalen Mehrheit im Parlament eine Phase noch härterer politischer Auseinandersetzungen bevor. So ist es richtig, den in den vergangenen Jahren zum populistischen Experimentallabor avancierten Kleinstaat genau zu beobachten. Es gibt in allen europäischen Staaten leider sowieso genügend Bewunderer für die rechtsstaatlich problematischen Versuchsballone, die hier zum Himmel steigen."
So klagt in der FAZ Raphael Groß, der offenbar nicht um Beifall aus der Schweiz buhlt.
Leseempfehlungen der "NZZ" und der "SZ"
Wer sich in diesen unruhigen Tagen übrigens mit der Gewalt als solcher befassen will, dem empfiehlt die SZ das Werk des Historikers und Stalin-Experten Jörg Baberowski. Es heißt "Räume der Gewalt".
Wer jedoch auf große Vierbeiner steht, lese lieber Ulrich Raulffs "Das letzte Jahrhundert der Pferde". Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG lobt das Buch zwar nicht durchgängig, um so mehr aber dessen Autor:
"Raulffs Empathie und Intellekt kann man sich nicht entziehen."
Um Ihre Ohren zu schonen, liebe Hörer, untersagen wir uns am Ende Terkessidis, was in der NZZ Überschrift wurde – nämlich "Ein letztes, leises Wiehern."
Mehr zum Thema