Aus den Feuilletons

Dunkeldüster wird's in Russland

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Der russische Präsident Wladimir Putin hält eine Ansprache im Fernsehen. Zwei russische Bürgerinnen sitzen auf einem Sofa und hören zu.
Putin wendet sich an das Volk: Ansprache im Fernsehen. © picture alliance / Grigory Sysoev / Sputnik / dpa
Von Gregor Sander · 23.06.2020
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Der russische Autor Viktor Jerofejew fühlt sich in seiner Heimat inzwischen wie im falschen Roman und beschreibt in der FAZ Putins Strategie: Immer weiter die Schrauben anziehen.
"Drei Jahre, über 90 Verhandlungstage, einander widersprechende Zeugenaussagen und Gutachten – jetzt steht der Prozess gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow in Moskau vor der Urteilsverkündung", berichtet Frank Herold im Berliner TAGESSPIEGEL. Dem Regisseur, der zuletzt am Deutschen Theater in Berlin von Moskau aus inszenierte, drohen eine Geldstrafe und sechs Jahre Lagerhaft. Veruntreuung öffentlicher Gelder wird seinem Projekt "Platforma" vorgeworfen.
Trotzdem nutzte er seinen Auftritt am Montag, um die Freiheit der Kunst zu verteidigen: "Der Unterschied zwischen zeitgenössischer Kunst und staatlichen Aufträgen und Propaganda bestehe darin, dass erstere sehr scharf, kritisch und paradox auf die Gegenwart reagiere.
Auf diese Arbeit wiederum reagiere der russische Staat mit Verfolgung, Gericht und Haft", so Serebrennikow, der dann das Gerichtsverfahren gegen ihn so erklärt: Letztlich sei das Projekt 'Platforma' und seine Dokumentation vor einem russischen Gericht zu einem Teil der neuesten Geschichte der russischen Kunst geworden.

Land des ewigen Putin

Der russische Autor Viktor Jerofejew fühlt sich in seiner Heimat inzwischen auch wie im falschen Roman und beschreibt das in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG so: "Die Gegenwart ähnelt zunehmend einem Schelmenroman, in dem der Held missliebige Partner bezaubert, verschreckt oder liquidiert: Russland erlebt den Beginn eines neuen Zeitalters, in dem Putin das Coronavirus und alles andere besiegt."
Auch die Zukunft im Lande des ewigen Putins sieht Jerofejew eher dunkeldüster. "Jedes Jahr wird er die Schrauben weiter anziehen, das liegt in der Natur der Autokratie. Die liberale Opposition wird er abwürgen und zugleich nicht ganz vernichten, damit sie die Korruption in den höheren Machtetagen offenlegt. Damit kann er die Regierungselite in Schach halten. Er wird einen harten Konfrontationskurs gegen den Westen fahren, immer am Rande eines ernsthaften Konflikts, damit Russland als Atommacht ernst genommen wird", so Jerofejew, dem man inständig wünscht, Unrecht zu behalten.

Schreiben geht, lesen eher weniger

In Deutschland wird gerade viel darüber gestritten, wer denn nun wen als was bezeichnen darf. Was Sprache darf und was nicht. Der Chefredakteur der Tageszeitung DIE WELT Ulf Poschardt sieht das sprachliche Problem gar nicht im Schreiben: "Viele Kommentare, links, rechts oder in der Mitte, haben nicht nur eine herabgestufte Lesekompetenz, sondern verweigern die Lektüre. Es ist eine Feier der Vorurteile und des Ressentiments. Für die Frage 'Text gelesen?' sollte es ein Emoji geben."
Während man noch überlegt, wie das quietschgelbe Text-gelesen-Emoji wohl aussehen würde und wer es außer Ulf Poschardt benutzen könnte, spricht dieser in der WELT folgendes Urteil: "Der neue, autoritäre Glaube an die Sprache als Impfstoff gegen Rassismus und Chauvinismus gipfelt in einer versuchten Säuberung der Sprache, im festen Willen, die Sprache als Haus des Seins zu einer aseptischen Isolierstation zu machen. Das kann nur mit mehr Kontext und einem Sichschlaustellen geändert werden."

Der befreite Kafka als Engländer

Das Wort Sichschlaustellen, das doch sehr an Schweinchen Schlau erinnert, ruft in uns den Wunsch wach, noch einmal einen Schriftsteller zu hören, wobei das auch mit denen schwierig ist: "Schriftsteller sind selten gute Rezensenten, die Lust am Text wird schnell durch Neid und Missgunst gehemmt", behauptet Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Dann ist er aber doch ganz zufrieden mit Alan Bennett, der in seinem Buch "Der souveräne Leser" über seine Kollegen herzieht: "Elias Canetti würde Kafka annektieren", tadelt Bennett, "zur Steigerung der eigenen Stringenz. Er selber möchte Kafka von Kafka befreien und stellt ihn sich als Engländer vor."
Auch wenn jetzt schon einige Kafkaverehrer aufschreien werden, es kommt noch schlimmer! Denn der englische Dramatiker wagt es doch tatsächlich, das Leben des Schriftstellergotts aus Prag in drei Sätzen zusammenzufassen: "Vater: Sohn, du hasst mich. Sohn: Vater, ich liebe dich. Mutter: Widersprich deinem Vater nicht."
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