Aus den Feuilletons

Dschungel des Alltags

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Über die boulevardeske Berichterstattung in Frankreichs Qualitätsmedien empören sich auch deutsche Feulleitons. © dpa/picture alliance/Simon Daval
Von Hans von Trotha · 16.01.2014
So umstritten Max Frischs Berliner Journal ist, so einstimmung (schlecht) ist die Meinung zu RTLs Dschungelcamp, das dieser Tage wieder beginnt. Auch Francois Holland und seine Geliebte bleiben Themen.
Frisch ist jetzt durch. In der Süddeutschen Zeitung verrät Jörg Magenau noch, wohin in Max Frischs Berliner Journal die Reise geht, nämlich "Von Berlin über Pankow nach Montauk" – wobei sich Magenau wie Frisch am meisten für Pankow interessiert. Das gilt erst Recht für Sabine Vogel, die in der BERLINER ZEITUNG fragt, ob die Veröffentlichung nun "eine Sensation" sei. Zumindest zitieren alle gern, wie Frisch sich so über die Kollegen auslässt: "Plenzdorf findet keine Gnade", schreibt Vogel. "Seinem Stück `Leiden des jungen W.´ attestiert er zwar purgatorische Wirkung, aber eigentlich findet er es `simpel, dramaturgisch primitiv ... provinziell´. Und dessen Film `Paul und Paula´, den findet er `lausig´."
Dabei ist das der Lieblingsfilm der Kanzlerin. Und dessen Hauptdarsteller ist ab sofort"Der richtige Mann im falschen Leben". Mit dieser Schlagzeile macht das WELT-Feuilleton auf. "Heute zieht der Volksschauspieler Winfried Glatzeder für RTL ins Dschungelcamp", heißt es da, "um das Fernsehen zu bereichern." "Ein Glückwunsch" ist der Artikel von Michael Pilz überschrieben – wobei nicht ganz klar ist, wem er gratulieren will: Glatzeder? Dem Fernsehen? Oder Sat 1? Die SÜDDEUTSCHE meint:
"Man muss nicht einschalten, um zuzugucken". Denn: "Das Prinzip der Sendung – Ekelprüfungen, Rauswürfe, Lästereien, Zicken und Machos, kurz: ganz große Dramen – lässt sich längst woanders viel besser beobachten."
Und wo, bitte schön? Bei Sportauslosungen, sagt Claudio Catuogno - Überschrift: "Das Runde ins Dreckige". Im Konklave, findet Rudolf Neumaier. Und Nico Fried erklärt:
"Das Dschungelcamp ist nichts anderes als ein Imitat von Politik. Nicht nur werden die Sieger durch Wahlen bestimmt, ein konstitutives Element der Politik ist seit jeher auch das Krötenschlucken, das bei RTL nur mit Würmern und Kakerlaken variiert wird. … Der einzige Unterschied zwischen Politik und Dschungelcamp? In der Politik gewinnt seit Jahren immer die Gleiche."
Und jetzt vielleicht auch noch ihr Leinwandheld.
Wie Merkel das wohl findet? Und was sie, also so wirklich im tiefstem Inneren, von Francois Hollande hält? - "Klatsch und Abklatsch" überschreibt die SÜDDEUTSCHE eine Analyse des französischen Voyeurismus von Joseph Hanimann. Fazit: "Frankreich rückt von seiner feineren Art des Sensationsjournalismus ab."
"Auch auf dem Pflastersteinniveau des Boulevards", so Hanimann, "gibt es bei den Medien noch Höhenunterschiede in Sachen Stil und Geschmack, zumindest in Frankreich. Das schafft eine wahre Kulturschwelle gegenüber den Ländern jenseits von Ärmelkanal und Atlantik. 'Austernschlürfer', 'Froschschenkelbeißer' – spottete die britische Boulevardpresse nach François Hollandes Pressekonferenz über die französischen Kollegen und deren Hemmung, dem Staatspräsidenten intime Geheimnisse aus seinem Liebesleben abtrotzen zu wollen."
Aber jetzt, wo Hollande um jeden Preis so werden will wie Merkel, weswegen er Reformen ankündigt wie Schröder, ändert sich auch das Verhältnis der Franzosen zum Schlüsselloch: "Der Schlüssellochblick findet bei Franzosen mehr Interesse als früher. Dass man von diesem Blick sich jedoch gar nicht mehr losreißen kann, wie die Skandalpresse es verlangt – so weit ist es in Frankreich noch nicht gekommen."
Kommt noch.
Ines Kappert erklärt in der TAZ: "Die Franzosen mögen keine Fremdsprachen. Also lernen sie auch keine" und zitiert eine Senegalesin, die sich: "über die retardierten Franzosen" amüsiert, "die jede Modernisierung verweigern und natürlich noch immer keine Fremdsprachen sprechen. Anders als die reformfreudigen Deutschen mit ihrer tollen Kanzlerin. Hollande aber: Putain, merde!" - Das übersetzen wir jetzt mal, wie auch die taz, lieber nicht.
"Alles auf Anfang", meldet schließlich die FAZ, "Francois Hollande verändert sich radikal, das Land atmet auf". "Jetzt gibt er sich sogar als Sozialdemokrat", lästert der Kolumnist und empfiehlt, "nach den privaten auch die ideologischen Lebenslügen zu überwinden" – nicht ohne den Hinwies: "Sozialdemokrat war noch immer ein übles Schimpfwort der französischen Linken."
Und dann fällt da noch ein Satz von geradezu literarischer Dignität: "Nie ist der Zauderer so gut wie in Bedrängnis." Ein perfides Kompliment. Aber in seiner Schlichtheit irgendwie schön. Und gleich fallen einem der eine oder die andere aus der GroKo ein, denen man - nur so gesehen natürlich - dringend Bedrängnis wünschen möchte.