Aus den Feuilletons

"Drei Kilometer schwabbliger Eidotter"

Christos Projekt "Floating Piers" in Norditalien
Und wieder einmal hat der Künstler Christo ein aufsehenerregendes Großprojekt geschaffen. © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Ulrike Timm · 20.06.2016
"Das ist Kunst, das muss bleiben", schwärmt Hans Joachim Müller in der "Welt" über Christos "Floating Piers" in Norditalien. Der Erlebnisbericht über seinen schwankenden Testgang entlockt den Lesern ein Schmunzeln.
Feuilletonistische Großaktion der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Sechs türkische Autoren erklären den Deutschen ihr Land!" Bestürzendes, Überraschendes wie Befremdliches fördern sie zutage.
Die Istanbuler Schriftstellerin Perihan Magden erzählt, dass die liberalen Intellektuellen einst auf Erdogan setzten – "die Bevormundung des Landes durch das Militär sollte endlich Vergangenheit werden. Tatsächlich verwirklichte die AKP 2002 bis 2005 eine für uns beispiellose Anzahl demokratischer Reformen. Dann aber ging es immer langsamer, unwilliger. 2007 schien ihr Reformhunger gestillt zu sein. Seitdem kommt es täglich zu Probeläufen einer Diktatur Erdogans…Nun werden Kurden getötet, Soldaten getötet, Kinder getötet. Wir werden getötet."
Für den Schriftsteller, Armenier und AKP-Abgeordneten Esayan hingegen ist Erdogan eine Art "Blitzableiter": "Ich ziehe viel Hass auf mich, weil ich als Literat, als Armenier, als gläubiger Christ Erdogan unterstütze – aber er nahm den Kemalisten die Macht weg und gab sie in die Hände des Volkes."
Ob Ihnen nun die sechs Autoren tatsächlich die Türkei erklären, stellen wir dahin – ihre eindrücklichen Positionen finden Sie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

"Ein Triumph des direkt Erfahrbaren"

Weniger Streit- und mehr Genusspotenzial hat ein Artikel in der WELT: Dank Christo kann man in Italien gut zwei Wochen lang übers Wasser gehen. "Seine schwimmenden Piers sind ein Triumph des direkt Erfahrbaren", schreibt Hans Joachim Müller, und glücklicherweise legt der Autor den Schwurbelton ab, wenn er sich aufmacht und den von Christo angelegten Kunstweg über den Iseo-See tatsächlich beschreitet:
"Wenn man draufsteht, ist es ein bisschen wie eine Riesenkasserole voll schwabbeligen Eidotters", heißt es nun, beim Spaziergang über die Kunst, und weiter schreibt der Übers-Wasser Geher der WELT:
"Laufen ist nicht ganz das richtige Wort, es ist eher wie ein vorsichtiges Staksen über eine Luftmatratze." Stakst man also über die 200.000 Plastikschwimmer, die eingehüllt von 100.000 qm orangem Stoff die Strecke bilden, spürt man, wie "die Schritte immer weicher und schmiegsamer werden. Nach hundert Metern Über-Wasser-Treten meint man, jeder anrollenden Welle trotzen zu können." Und beim Lesen meint man plötzlich eine Portion fröhlichen Wackelpuddings in den Beinen zu verspüren…
Die WELT lässt uns noch auf ein Foto schauen, blauer See, goldgelbe Ameisenstraße! So viele Menschen nämlich wollen über Christos Kunst staksen, stromern, rutschen, dass sie von oben wie emsige kleine Krabbler wirken. "Das ist Kunst, das muss bleiben", so begeistert sich Hans Joachim Müller nach dem schwankenden Testgang, und freut sich: "Niemand, der auf dem orangefarbenen Weg übers Wasser unbedingt wissen wollte, was das alles zu bedeuten habe." Wenn Sie’s ausprobieren möchten: zwei Wochen haben Sie noch, um "drei Kilometer schwabbligen Eidotter" gehtechnisch zu überlisten! Schönes Frühsommerwetter könnte das Outdoor-Kunsterlebnis natürlich noch zusätzlich beflügeln…

"Burn, Baby, Burn"

Die TAZ widmet sich pünktlich zum Sommerbeginn der Sonne! Die begann die warme Jahreszeit aus Erdlingssicht bislang, nun ja, eher verhalten. Anlass für die TAZ, das Planetensystem mal in ganz große zeitliche Zusammenhänge zu stellen:
"Burn, Baby, Burn. Die liebe, liebe Sonne. Wie viel sie scheint oder wie wenig. Dabei ist die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ohnehin hinüber, erst erhitzt, dann erkaltet."
Und noch ein wenig präziser: "Scheißsonne, die in zwei Milliarden Jahren zunächst kräftig den Regler hochdreht, um nach weiteren vier Milliarden Jahren zum Roten Riesen zu mutieren, der die Erdkruste zu einem einzigen Ozean aus Lava zusammenschmilzt, bevor sie am Ende zu einem weißen Zwerg kollabiert." Und dann wird es kalt.
Das sind ja sonnige Aussichten, aber nehmen wir es wie die TAZ mit Ruhe: in sechs Milliarden Jahren kann noch eine ganze Menge passieren. Erstmal: Schönen Sommer!
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