Aus den Feuilletons

Die zwei Persönlichkeiten des Ai Weiwei

Der chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Atelier in Berlin
Der Künstler Ai Weiwei war in China vier Jahre lang mit einem Ausreiseverbot belegt. © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Tobias Wenzel · 06.08.2015
Da gerade viele Kulturschaffende Urlaub machen, ist die Nachrichtenlage in den Feuilletons mager. So mager, dass der Künstler Ai Weiwei am laufenden Band Interviews geben muss - erstaunlich ist allerdings, wie unterschiedlich diese Interviews verlaufen.
"Im Moment scheinen in Berlin alle im Urlaub zu sein",
wundert sich Ai Weiwei im Gespräch mit Christiane Peitz vom TAGESSPIEGEL. Und da gerade auch viele Kulturschaffende aus ganz Deutschland Urlaub machen, ist die Nachrichtenlage in den Feuilletons äußerst mager. So mager, dass der Künstler, der im Juli seinen Reisepass von den chinesischen Behörden zurückerhalten hat, nun am laufenden Band in Deutschland Interviews geben muss und gar nicht richtig in Berlin ankommen kann.
Schere im Kopf?
Erstaunlich ist allerdings, wie unterschiedlich die Interviews mit Ai Weiwei verlaufen. Geradezu, als hätte er zwei Persönlichkeiten.
Im Interview mit Mark Siemons von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG wählt der Künstler so wohlüberlegt seine Worte, als hätte er die Schere im Kopf und als wollte er zu kritische Äußerungen über China vermeiden, vielleicht, um auch in Zukunft wieder in seine Heimat zurückkehren zu können.
Ganz anders der Ai Weiwei im TAGESSPIEGEL: komisch und angriffslustig. Angesprochen darauf, dass sein Sohn in Zukunft in Berlin zur Schule gehen werde, sagt Ai über das chinesische Bildungssystem und dessen Schüler:
"Statt sie eigenes Urteilsvermögen zu lehren, findet Gehirnwäsche statt."
In der FAZ vermutet Mark Siemons, Ai Weiwei wolle nicht die von ihm hier erwartete Rolle des Dissidenten spielen. Aber im TAGESSPIEGEL erscheint er genau als dieser Dissident. Allerdings als einer mit Humor. Was er im September in seiner Londoner Ausstellung zeigen werde, will Christiane Peitz wissen.
"Überwiegend ältere Arbeiten und einige speziell für die Schau designten Werke",
antwortet Ai.
Nachfrage: "Eine Best-of-Show?"
Antwort des Künstlers: "Und eine Worst-of-Show."
Nun kann man selbst im Sommerloch nicht das gesamte Feuilleton einer Zeitung mit einem Ai-Weiwei-Interview füllen.
Altes aufwärmen
Die neueste Strategie: Altes aufwärmen. Die in ihrer Gemütlichkeit schon wieder äußerst sympathische NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist so mutig, den 90. Geburtstag der Dichterin Mary de Rachewiltz einen Monat später zu feiern.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet darüber, dass sich Elisabeth Kulman von der Opernbühne verabschiedet hat. Das tat die österreichische Mezzosopranistin, wie die Zeitung zugibt, allerdings schon im April. Trotzdem, und das spricht wieder für die Feuilletonisten, sind in diesen Fällen lesenswerte Artikel herausgekommen.
Mensch und Roboter vereint
Das gilt auch für Jan Küvelers Text "Mein Jahr unter Titanen" für die WELT. Darin berichtet der Autor über ein Ego-Shooter-Spiel, in dem Mensch und Roboter vereint kämpfen.
"Sie drücken den entsprechenden Knopf (Steuerkreuz unten), und ein sechs Meter hohes Stahlungetüm stürzt mit einem solchen Karacho aus dem Himmel, dass es bei der Landung in die Knie geht",
schreibt Küveler.
"Sie steigen ein (X drücken) und stapfen mit mächtigen Schritten durch Straßen, die wie in der Waschmaschine eingelaufen wirken."
Der schönste Satz des Artikels ist gleich der erste:
"Roboter zu erschießen, ist mitunter ein Akt der Nächstenliebe."
Allein wegen dieses Satzes könnte man dem WELT-Autor verzeihen, dass er jetzt erst ein Computer-Spiel bespricht, das schon vor einem Jahr auf den Markt gekommen ist. Wer das nicht verzeihen kann, hat leider noch keine Möglichkeit, die Zeitungsausgabe zurückzugeben.
Kundschaft entschädigen?
Enttäuschende Bücher kann man dagegen nun zurückgeben. Jedoch bisher nur bei einem Buchhändler aus dem US-Bundesstaat Michigan, wie die SZ berichtet. Peter Makin sei enttäuscht von Harper Lees Roman "Gehe hin, stelle einen Wächter", den der Verlag als Sensation angepriesen habe.
Das Fazit des Buchhändlers:
"Wenn man sich zum Komplizen einer Industrie macht, die Leser bewusst in die Irre führt, sollte man die Konsequenzen tragen und seine Kundschaft entschädigen."
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