Aus den Feuilletons

Die Symbolkraft von Architektur

04:19 Minuten
Der Reichstag in Berlin.
Der Reichstag in Berlin. © imago images / Westend61
Von Burkhard Müller-Ulrich · 15.05.2019
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In der Theorie gibt es so etwas wie demokratisches Bauen und das manifestiert sich z.B. im Reichstagsgebäude mit seiner gläsernen Kuppel. Alles Quatsch, findet die "Welt". Denn nur weil etwas aus Glas sei, sei es nicht "transparent".
Wahrscheinlich im Zuge der Erinnerungsarbeiten rund um das Jubiläum unseres Grundgesetzes widmet sich die WELT dem immergrünen Architekturthema "demokratisches Bauen". Rainer Haubrich zeigt in seinem wohldokumentierten Artikel, wie hohl diese von Theorie und Moral durchtränkte Floskel vom demokratischen Bauen eigentlich ist.
Während immer von "Transparenz" und "Offenheit" und vom Verzicht auf Monumentalität die Rede ist, sieht die architektonische Wirklichkeit doch ganz anders aus. Schon Konrad Adenauer und Theodor Heuss, der erste Bundeskanzler und der erste Bundespräsident, residierten lieber in herkömmlich repräsentativen Gebäuden. Das schlossähnliche Palais Schaumburg hatte ein Tuchfabrikant errichten lassen, und die Villa Hammerschmidt gehörte einst einem wohlhabenden Kaufmann.

Politische Interpretation von Architektur

"Ein fester Bestandteil der Glaubenslehre vom 'transparenten Bauen' ist auch das von Norman Foster umgebaute Reichstagsgebäude in Berlin, wo die Bürger – wie es heißt – von der gläsernen Kuppel auf ihre Volksvertreter hinabblicken und die politische Arbeit verfolgen können", schreibt Haubrich und erinnert daran, dass es eigentlich ganz anders war: Foster wollte ein Flachdach und wurde von einer knappen, durch die Beharrlichkeit des CSU-Politikers Oscar Schneider zustande gekommenen Mehrheit im Ältestenrat gezwungen, die von manchen als 'Retro' verfemte Kuppel zu bauen.
Und "was die Abgeordneten treiben, wird ja nicht dadurch transparent, dass man sie durch eine Glasscheibe sehen kann", setzt der WELT-Redakteur hinzu, wobei das ein ziemlich schwaches Argument ist, denn natürlich behält Symbolisches seine Symbolkraft, auch wenn es in der Praxis keine Funktion hat.
Wahr ist aber, dass eine politische Interpretation von Architektur sehr oft gezwungen und verkrampft wirkt.

"Motive rechten Denkens" in der Kunst?

Und wie ist es nun mit der Kunstfreiheit und der Autonomie der Kunst – einem der ganz grundlegenden Konzepte allen modernen Kunstschaffens? Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich macht sich darüber in der ZEIT nicht nur Gedanken, sondern geradezu Sorgen, denn "die Kunstautonomie, zwei Jahrhunderte lang das Ideal gerade linker und liberaler Milieus, wechselt die Seiten. Plötzlich passt sie besser in das Weltbild von Rechten."
Ullrich beschreibt hier etwas, das in dieser Schärfe wohl erst wenige sehen: Linke Intellektuelle und Kuratoren bürden der Kunst immer mehr Bekenntnispolitik auf, gerade auch in ihrem modischen Einsatz für Minderheiten und Unterdrückte.
Auf der anderen Seite benennt Ullrich eine Reihe von Künstlern, die sich rechts positionieren und dabei aber die Schönheit ihres Schaffens als etwas ganz Eigenständiges verteidigen: Sebastian Hennig, Axel Krause sowie, hier nimmt der ZEIT-Autor spürbar Anlauf, Neo Rauch, bei dem er "einige Motive rechten Denkens" ausgemacht haben will.
Ullrich findet natürlich alles, was rechts ist, falsch und furchtbar; er hält die Existenz von Meinungskorridoren in Politik und Medien für Hirngespinste und teilt auch nicht die Erinnerungen mancher ehemaligen DDR-Bürger an die damaligen Verhältnisse. Aber er beschreibt das Phänomen korrekt:
"Dass die Idee autonomer Kunst von links mit Misstrauen belegt und von rechts adoptiert wird, verändert ihren Charakter. Bedeutete Autonomie für die Künstler früher vor allem Unabhängigkeit von materiellen Statussymbolen und Publikumsgeschmack, wird daraus nun ein wehrhaftes Auf-sich-gestellt-Sein."
Wolfgang Ullrich findet diese Entwicklung zutiefst bedauerlich, aber sein Schlussappell, die Stärke der Kunstautonomie neu zu entdecken, wirkt eigentümlich schwach.

Zum Geburtstag von Egon Flaig

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG würdigt einen Mann zum 70. Geburtstag, der im herrschenden Medien-Meinungskorridor längst nach rechts aussortiert wurde: den Althistoriker Egon Flaig. Seine Studien zur Gewaltgeschichte des Islams, seine "Weltgeschichte der Sklaverei" und erst recht die Tatsache, dass er zu den Erstunterzeichnern der von Vera Lengsfeld und Henryk Broder initiierten "Erklärung 2018" gehörte, haben ihn ihm linken Milieu längst stigmatisiert.
Dementsprechend vorsichtig formuliert Simon Strauß in der FAZ:
"Auch da, wo man ihm nicht folgen will, bleibt Flaig ein herausfordernder Gedankengeber."
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