Aus den Feuilletons

Die Schwelldynamik des Fagotts und andere Kostbarkeiten

Die Schauspieler und Musiker Jaques Palminger (l-r), Alicia Aumüller, Rocko Schamoni, Franziska Hartmann und Heinz Strunk spielen am 29.04.2014 in Hamburg auf der Fotoprobe von "Tonight:Fraktus".
Jaques Palminger (l-r), Alicia Aumüller, Rocko Schamoni, Franziska Hartmann und Heinz Strunk bei einer Fotoprobe zu "Tonight:Fraktus" im Thalia Theater Hamburg © dpa/ picture alliance / Markus Scholz
Von Arno Orzessek  · 05.05.2014
Die SZ hat sich die Albernheiten der Fake-Band Fraktus in Hamburg angesehen, während die FAZ vom Dessauer Beethoven-Marathon schwärmt.
Heute, liebe Hörer, geht's hier nur um den Sound in den Feuilletons. Etwaige Inhalte schaffen Sie sich bitte selbst drauf.
Zunächst mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Trio "Saufkrake, Haschfummelinchen und Christel Mess" ...
Jawohl! Die SZ schreibt Christel wie Christel und Mess wie Messlatte ohne -latte.
Dennoch ist diese Christel Mess natürlich ein unterkomplexes Alias der Euphorie- und Party-Pille Crystal Meth.
Ob Jacques Palminger, Rocko Schamoni und Heinz Strunk etwas eingeworfen hatten, bevor sie am Hamburger Thalia-Theater als Elektro-Band "Fraktus" echt groben Unfug zum Besten gaben, ist eigentlich egal.
Ihr Humor – "Fahrradhelm und Spermastau, ich studier Maschinenbau" oder auch: "Südamerika hat Shakira, wie haben Maler und Lackierer" -, klingt so oder so schön Crystal-Methig ...
SZ-Autor Till Briegleb will neben den Titanen der Albernheit offenbar nicht stieselig wirken und frotzelt:
"Längst ist es wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesen, dass Fahrradhelme Gehirnwellen aussenden, die aggressiv, rücksichtslos und rechthaberisch machen. Jeder Verkehrsteilnehmer, der schon mal solch einer rasenden, klingelnden und pöbelnden Mutation auf ihrem Speichenesel begegnet ist, weiß davon ein Lied zu singen."
Was Brieglebs Frotzelei mit dem "Fraktus"-Auftritt und dieser mit dem Guten, Wahren und Schönen zu tun hat, das überspringen wir.
Fünf Klavierkonzerte an einem Abend
Bedienen dafür aber nun alle Liebhaber ernsthafter Kritik ernsthafter Musik – und lesen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Hier wächst Heldenmut aus Verzweiflung. Ragna Schirmer spielt in Dessau alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven an einem Abend."
Das Mengenproblem entgeht Jan Brachmann nicht:
"Kann man diese Wunderwerke an Schönheit und Hintersinn in solcher Fülle überhaupt verkraften, wenn man schon nach einem oder zweien dieser Stücke des Glückes genug hat für einen ganzen Tag?"
Ja, man kann, meint Brachmann – und findet den Dessauer Beethoven-Marathon auch kulturpolitisch sinnig:
"Hätte man besser als durch so ein 'Event' auf die herrlichen Qualitäten der Anhaltinischen Philharmonie aufmerksam machen können? Auf ihre Wendigkeit, ihre Reaktionsschnelle, auf die sensiblen Farbwechsel bei den überraschenden 'Sichtachsen' im Konzert op. 19, auf die biegsame Schwelldynamik des Fagotts, den seidigen Ton des Solocellos, auf eine spielerische Unternehmungslust und Metier-Beherrschung."
Wow! Hier in der FAZ die "biegsame Schwelldynamik des Fagotts", dort in der SZ die "Saufkrake und Christel Mess" ... .
Wer sich für die Spannweite zwischen E und U und dafür interessiert, wie der Sprachwitz die Weite überbrückt, lese beide Stücke.
Die Kunst des Austerngenusses
Zwischen E und U siedelt der Artikel "Ihr Zahnfleisch muss ganz darin baden" in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Samuel Herzog bespricht "Gastronomie pratique" von Ali Bab alias Henri Babinski. Den Kochkunstführer, der erstmals 1907 erschien, gibt es nun wieder als Faksimile.
Die NZZ übersetzt die französischen Zitate in der Mehrzahl nicht. Doch Ali Babs Hinweis, wie man eine Auster isst, den gibt's auf Deutsch:
"Einige schlucken die Austern, ohne sie zu kauen! [ ... ] Andere kauen sie zwar, begiessen sie aber er mit brandstifterischen Saucen [ ... ]. Den Gebrauch solcher Mittel würde ich nur verstehen, wenn ich Pferdefüße essen müsste. [ ... ] Heben Sie [also] die Auster vorsichtig aus der Schale zum Mund, ganz nackt, ohne irgendeine Zutat, beissen Sie ihr direkt in die Leber. Wenn sich das Subjekt so verhält, wie man es von ihm erwarten darf, dann muss Ihr Zahnfleisch ganz darin baden, und Ihr Mund wird von Saft überschwemmt."
Ali Bab in der NZZ: Noch ein hörbarer Leckerschmecker!
Unser Schlusswort übernimmt heute die kluge Eule aus "Der kleine Tierpark", ein Buch mit den Fauna-Feuilletons des Schriftstellers Robert Walser, vorgestellt in der SZ.
"Ich lese einen Dichter, der sich um seiner Zartheit willen eignet, von Eulen verdaut zu werden. Etwas Süßes ist in seiner Art, etwas Verschleiertes, Undefinierbares, item, er passt mir."