Aus den Feuilletons

Die schwebenden Bilder von Ellsworth Kelly

Kunstwerk von Ellsworth Kelly
Die Ausstellung "Spectrum V" des am Montag verstorbenen Künstlers Ellsworth Kelly im Metropolitan Museum of Art in New York © imago/Levine-Roberts
Von Paul Stänner  · 28.12.2015
Warum ist der verstorbene US-Maler Ellsworth Kelly mit seinen Kunstwerken nur so berühmt geworden, fragt die "Welt". Mit gelben, blauen und grünen Bildern erobere man doch keine Herzen. Vielleicht, weil seine Bilder im Raum zu schweben scheinen, so die "Neue Zürcher Zeitung".
Aus Paris berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE über eine höchst aktuelle Ausstellung mit dem Titel "Frontières". Sie beschäftigt sich mit Grenzen und – so schreibt Lena Bopp –
"sie stellt die Gretchenfrage: Soll man angesichts des islamistischen Terrorismus die Grenzen für Flüchtlinge schnell wieder schließen?"
Die Ausstellung, so die Berichterstatterin, zeige Grenzen als die "Geschichte ihrer Überwindung" und stelle "den Menschen in seiner Rolle als Grenzgänger" in den Mittelpunkt. Lena Bopp beschreibt mehrere Exponate, die schon in ihrer Erzählung so ergreifend sind, dass auch der Zeitungsleser am Ende dort landet, wo der Ausstellungsbesucher ankommen wird - nämlich bei der Frage:
"Sollte man Grenzen dann nicht besser gleich öffnen?"
Vielleicht eine utopische Vorstellung, aber eine, meint Lena Bopp, die "in Bezug auf aktuelle Debatten bedenkenswert ist".
Zum Tod von Ellsworth Kelly
Der amerikanische Maler und Plastiker Ellsworth Kelly ist verstorben.
"Mit gelben, blauen, grünen, grauen, weißen, schwarzen Bildern erobert man nicht die Herzen",
schreibt Hans-Joachim Müller in der WELT. Das ist eine einigermaßen erstaunliche Bemerkung. Wie wurde Kelly dann so berühmt? Müller zählt zusammen:
"Man wird von diesen Bildern nicht erdrückt, man wird von ihnen auch nicht emporgehoben, und man darf vor diesen Bildern absolut sicher sein: Hinter ihnen ist nichts, hinter ihnen ist allenfalls der physikalische Abstand zur Wand, aber bestimmt keine Metaphysik."
Die Summe dessen, was die Bilder nicht auslösen oder mitbringen, gibt uns keine Erklärung für Kellys Bedeutung, schließlich widmen sich doch fast alle Feuilletons vom Dienstag dem berühmten Toten. Hanne Weskott in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG betont ebenfalls alles, was die Bilder nicht liefern – seelische Befindlichkeit, symbolischen Wert – aber sie benennt, was sie liefern:
"Kelly ist für seine gebogenen und geschweiften Ränder berühmt. Das bewirkt, dass seine Bilder nicht statisch an der Wand hängen, sondern häufig davor zu schweben scheinen. Es ist, als wären sie in Bewegung gegriffen, aufwärts, seitwärts oder in den Raum hinein."
Vielleicht sind es die Tänze der Bilder, die bewirken, dass – so Hanne Weskott – sich Kellys Name

"unauslöschlich in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben" hat.
Flüchtlinge und Wertedebatte
Die Tageszeitung TAZ denkt nach über die Forderung der CSU, Flüchtlinge müssten sich zu "unseren Werten" bekennen und spekuliert über eine Gegenforderung:
"…müssen die Altbayern dann die ganzen Altlasten in ihrer Mitte aufnehmen, etwa die gottlosen ostdeutschen Wirtschaftsflüchtlinge,…statt (sie) wie bisher nur zu ertragen?"
Auf die Frage erwarten wir gespannt einen Kommentar von Markus Söder.
In der FAZ polemisiert der Librettist und Komponist Jüri Reinvere über die Frage, wie man Oper durch Regie "politischer" machen könne. Als Beispiel dient ihm die Aktualisierung des "Freischütz" in Hannover mit Penis-Amputation und einem Jägerchor von Pegida-Anhängern. Reinvere behauptet:
"Wir lernen aus solchen szenischen Gags nichts Neues über Pegida oder den Zusammenhang zwischen europäischem Wohlstand und islamistischem Terrorismus. Solch ein politisches Musiktheater hält die Opernbesucher für dumme Leute, (...) und serviert ihnen Politik als dünne Fettglasur auf einem alten Kuchen."
Er wirft den Theatermachern vor, dass sie nicht vom Publikum her dächten, Zitat:
"Weltfremdheit, Selbstbezüglichkeit und Platituden setzen der Musikszene zu..."
So verliere sie ihr Publikum, das doch komme, weil es die Musik, die Schönheit der Oper liebe: Schönheit, schreibt Reinvere, könne
"nur als Nebenprodukt richtiger anderer Entscheidungen entstehen; ich selbst habe immer gedacht, das trifft auf vieles zu: Glück, Liebe, Hoffnung auf die Zukunft – und auf Politik in der Oper."
Dass Schönheit und Politik zusammengedacht werden, erscheint als eine zukunftsweisende Denkfigur vor dem Beginn eines neuen Jahres.
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