Aus den Feuilletons

Die russische Seele ist beleidigt

Der Kreml und die Dreifaltigkeitskathedrale in Pskow in Nordwestrussland.
Die Glocken der Dreifaltigkeitskathedrale im Kremel von Pskow in Nordwestrussland. © picture-alliance/ dpa / Uwe Zucchi
Von Adelheid Wedel · 13.03.2015
Einen Rückfall in alte Zeiten attestiert die Autorin Swetlana Alexijewitsch Russland in einem Interview mit der "NZZ". Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt über ein Verhältnis, das Putin wiederbelebt: die Symbiose von Kirche und Politik.
"Das Syndrom der Gewalt ist ein Sumpf, aus dem das Land nicht herauskommt", sagt Swetlana Alexijewitsch im Interview in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Die 1948 in der Westukraine geborene Schriftstellerin gilt als eine der profundesten Kennerinnen der russischen Seele.
"Mit ihren Büchern über die Revolution, den Gulag, den Weltkrieg, Afghanistan, Tschernobyl und den Zusammenbruch des roten Imperiums arbeitet sie seit vierzig Jahren an einer monumentalen russisch-sowjetischen Chronik."
Ihr Satz: Die Vergangenheit steht uns noch bevor, gründet in tiefem Wissen um den gegenwärtigen Zustand Russlands. Optimismus? – Fehlanzeige. Sie attestiert Russland "einen Rückfall in unselige alte Zeiten" und meint: "Es rumort eine Art mythologisches Bewusstsein. Wir sind erniedrigt und beleidigt. Wir haben eine Rolle zugewiesen bekommen, die uns nicht passt – also müssen wir aufbegehren. Wenn man sich unser Leben die letzten 25 Jahre anschaut, fragt sie, wohin sind wir gegangen? Es gab keine Verbesserung. Das Geld, das da war, wurde aufgezehrt, verschwendet oder geklaut von der Kaste der Mächtigen."
Es zeige sich in Russland eine fundamentale Unfähigkeit zum zivilen, normal friedlichen Leben. Mit Bitterkeit denkt sie zurück: "Auf der Straße gewannen nach 1991 die Banditen, sie haben sich später schicke Anzüge übergeworfen und sitzen nun in der Duma und an den Schaltstellen der Macht. Die Menschen denken militärisch in den Kategorien von Sieg und Niederlage."
Da hilft es ihnen: "Putin verkörpert den Machismo, die Orthodoxie, den Traum von der Großmacht." Swetlana Alexijewitsch rät dem Westen, er müsse sich von der Illusion verabschieden, dass Diplomatie und Dialog zu einer Lösung führten. "Es gibt diese Erfahrung in der bellizistischen russischen Gesellschaft nicht, und schon gar nicht in der fanatisierten russischen Politik."
Alte, neue Symbiose: Politik und Kirche
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt Tim Neshitov über Russlands orthodoxe Kirche.
"In der Sowjetunion wurden Priester verfolgt. In Putins Reich aber ist die Kirche eine tragende Säule. Sie hetzt gegen Künstler, Regisseure, Musiker. Ihr Ziel: Die neue, alte Symbiose mit der Macht. Kreml und Kirche sind unter Putin innigst verwachsen, so wie sie es zuletzt nur im Zarenreich waren. Der Kreml schätzt diese Symbiose, weil sie zusätzlichen Einfluss auf Bürger mit sich bringt. Es scheint", überlegt der Autor, "als hätte die Kirche die ideologische Aufsichtsfunktion der Kulturabteilung des ZK der Kommunistischen Partei der UdSSR übernommen."
Wissen sollte man: "Seit 2013 wird die Beleidigung religiöser Gefühle strafrechtlich geahndet."
"Virtueller Islam" und Joschka Fischer tanzt
Das Bild von Muslimen hinterlässt in den deutschen Medien einen negativen Eindruck, ärgert sich Eren Güvercin in der Berliner Tageszeitung TAZ. Er fragt, so wie seine Bekannten und Freunde ihn fragen: "Warum berichten die Medien immer negativ über uns Muslime?" Kai Hafez, der an der Erfurter Universität Kommunikationswissenschaft lehrt, kommt zu dem Ergebnis: "Konflikte in der islamischen Welt dominieren die Berichterstattung, und Bereiche wie Kultur oder Wirtschaft spielen keine oder nur eine sehr geringe Rolle." Der Alltag der Muslime im Nahen Osten und im Westen komme in der Berichterstattung kaum vor. Hafez spricht inzwischen von einem "virtuellen Islam", der mehr und mehr das Islambild der Menschen bestimme – fern der Realität.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG blickt zur lit. Cologne. Dort hatte Giovanni di Lorenzo Joschka Fischer zum Talk eingeladen, denn er habe "wieder ein Buch hingeknüppelt", heißt es in der Zeitung. Sein Titel: "Scheitert Europa?" Fischers Antwort: Vielleicht. Die Ursache dafür sieht er "im schlechten Journalismus". Der Zeit-Chefredakteur wollte wissen, woher die Europa-Müdigkeit komme, Europa-Titelgeschichten blieben wie Kassengift am Kiosk liegen. Die fidele Antwort des Ex-Außenministers: Ihn müsse er das nicht fragen, "denn wo er vortanze, da ist die Hütte voll".
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