Aus den Feuilletons

Die neue Schicksalsgemeinschaft Frankreichs

Viele Staats- und Regierungschefs kamen zum Trauermarsch nach Paris am 11.01.2015
Viele Staats- und Regierungschefs kamen zum Trauermarsch nach Paris. © AFP / Eric Feferberg
Von Adelheid Wedel · 11.01.2015
Frankreich und die Welt vereint gegen Terrorismus: Der Pariser Marsch für die Opfer von Anschlägen und Morden setzt ein beeindruckendes Zeichen. Der Blick auf den Terrorakt gegen die französische Zeitung "Charlie Hebdo" ist heute das bestimmende Thema in den Feuilletons.
Paris ist an diesem Wochenende die Hauptstadt der Welt, aktiv im Kampf für die Ideale der Aufklärung. So nimmt es nicht Wunder, dass der Blick auf den Terrorakt gegen die französische Zeitung "Charlie Hebdo" das bestimmende Thema in den Feuilletons vom Montag ist. Und das sehr vielschichtig.
Thomas Schmid beispielsweise sucht in der Tageszeitung DIE WELT nach den Ursachen dieser Katastrophe. Schmid beobachtet eine bemerkenswerte Schubumkehr bei der Auswanderung.
"Etwa 200 Jahre lang folgte die weltweite Migration stets demselben Muster. Die Auswanderer verließen, nicht selten schweren Herzens, ihr Land, weil sie berechtigte Hoffnung hatten, in der neuen Heimat ein besseres Leben führen zu können - in Freiheit und Wohlstand. Diesem Ruf folgte und glaubte auch die Mehrheit der Muslime, die nach Europa kamen. Sie wollten besser leben. ... Das ist heute vielerorts nicht mehr so. Die westliche Lebensweise hat an Attraktivität verloren. Das nun, so Schmid, nehmen Muslime wahr, viele von ihnen sähen in dem an sich selbst zweifelnden Europa ein spätrömisches Sündenbabel und fühlten sich im Recht, wenn sie dieser Lebensweise den Krieg erklären."
Europa sollte eine neue Anziehungskraft entwickeln, empfiehlt der Autor. Das muss vieles umfassen:
"Karikaturen und Rechtsstaat, Freiheit des Einzelnen und Verfassung, das Fressen und die Moral, die Buchkultur und das Smartphone ... Um die ganze Mischung geht es."
Dann mag dieses Europa "viele derer überzeugen, die heute zwar gern seine Technik und Elektronik nutzen, alles andere aber für dem Untergang geweihtes Teufelszeug halten."
Jürg Altwegg beschreibt in seinem Artikel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG unter der Überschrift "Ein Urknall in der Republik" die sich neu zeigende "Schicksalsgemeinschaft Frankreichs". Er beschwört
"die historische und universale Dimension dieses elften Januars, an dem sich die freie Welt zu dieser französischen Republik, die aus der Aufklärung hervorgegangen ist, bekannte."
Dann fragt er: "Wo aber war Marine Le Pen?" Er stellt fest:
"Eine nationale Union kann es ohne die gegenwärtig stärkste politische Partei genauso wenig geben wie ohne einen Bürgerfrieden mit der Gemeinschaft der Muslime. Über eine Einladung waren sich Sozialisten und die Mitte-Rechts-Partei UMP nicht einig ..."
Marine Le Pen kündigte an, dass sie in der Provence mitmarschieren würde, zuvor hatte sie dem "Figaro" erklärt,
"an einer 'Scheindemonstration' der nationalen Einheit 'ohne Meinungsfreiheit' würde sie nicht teilnehmen.
Wie geht es weiter?
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist der Kunsthistoriker Horst Bredekamp entsetzt:

"Noch nie wurde in Europa wie jetzt in Paris eine ganze Gruppe Zeichner ausgelöscht."
Er warnt vor einer Epoche des Bildersturms, "in dem Terroristen aus Angst vor dem Gezeigten töten." Wie geht es weiter, fragt die Zeitung? Bredekamp:
"Wer sich die Freiheit nimmt, auf der unsere Kritikfähigkeit beruht, wird in Zukunft unter Todesdrohung stehen. Dies auszuhalten und Institutionen zu finden, die diese Freiheit weiterhin beschützen, ist von Stund an die Aufgabe."
Bredekamp sagt voraus:
"Ein fundamentales Umdenken steht uns bevor. Meinungsfreiheit kann Leben kosten. Wir werden sehen, welche Konsequenzen das hat - wird es eine Bildpolitik der Konfliktvermeidung geben? Oder halten wir stand, in den Redaktionen, an den Universitäten, in der Kunst und in der Politik?"
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist zu lesen:
"Wir machen weiter, lauteten noch unter dem Schock des Attentats entschlossen und zugleich ungläubig die ersten Reaktionen der verbliebenen Charlie-Redakteure."
Sie halten Wort. Schon am Freitag trafen sie sich zur ersten Redaktionssitzung. Charlie Hebdo erscheint am kommenden Mittwoch mit einer Rekordauflage von einer Million.
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