Aus den Feuilletons

Die Hohenzollern, die Berlinale und die Nationalsozialisten

06:16 Minuten
Alfred Bauer begrüßt die italienische Schauspielerin Gina Lollobrigida nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen Tegel in Berlin am 02.07.1965 mit einem Glas Sekt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Alfred Bauer der erste Direktor der Berlinale. Nun wurden neue Fakten über seine Verstrickung in das NS-Regime bekannt. © Konrad Giehr / dpa
Von Tobias Wenzel · 01.02.2020
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Die Befreiung von Auschwitz jährte sich in dieser Woche zum 75. Mal, im Kulturausschuss des Bundestages wurde die Rolle der Hohenzollern im Nationalsozialismus diskutiert und die "Zeit" enthüllte, dass der erste Berlinale-Direktor ein Nazi war.
Ernste Themen und solche, bei denen man sich fragte: Im Ernst?, fanden sich in den Feuilletons dieser Woche. "Peace, prosperity and friendship with all nations", 'Frieden, Wohlstand und Freundschaft mit allen Nationen', liest man auf der 50-Pence-Sondermünze, die den Brexit feiert, aber für weiteren Unfrieden in Großbritannien gesorgt hat. Darüber berichtete Johan Schloemann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Der Schriftsteller Philip Pullman forderte zum Boykott der Münze auf. Der Grund: In der Prägung fehlt ein Komma. Der Journalist Stig Abell wurde mit den Worten zitiert: "Das Fehlen eines Kommas nach 'prosperity' macht mich völlig fertig." Jetzt im Ernst?, konnte man da denken. Sonst bringt der Brexit keine Probleme für Großbritannien? Und ob! Aber man könne aus dem "Affentheater" Brexit auch etwas lernen, behauptete die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy in der SZ - zum Beispiel das Horten.

Leichensäcke aus der Brexit-Box

"Unternehmen, die früher Gebinde mit 48 Portionen gefriergetrockneter Käsemakkaroni für Atombunker oder Katastrophenschutz lieferten, verpacken ihre Produkte jetzt neu als Brexit-Boxen", schrieb Kennedy. "So stapeln sich in den Heimen der Menschen Bunkereintopf, Dosenwasser, Dynamo-Taschenlampen und Radios, Wärmefolie, Campingkocher und Gasflaschen." Medikamente in großen Mengen seien schwer zu bekommen. Aber eine gute Nachricht hatte die Autorin mit ausgeprägtem britischen Humor dann doch: "Unser umfangreicher Vorrat an Leichensäcken ist nicht umsonst angelegt."
"Wir kommen wieder", prophezeite - erneut in der SZ - der englische Schriftsteller Julian Barnes eine Rückkehr Großbritanniens in die EU. "Also ist die Frage eigentlich nur, wann wir wieder zur Vernunft kommen", schrieb Barnes, "und ob ihr uns dann noch haben wollt." Puuuhhh, joohh, ähmmmm.
Die Verkehrsmeldungen hat der Deutschlandfunk eingestellt, was Ariane Bemmer vom TAGESSPIEGEL in eine Sinnkrise stürzte: "Die Staumeldungen sind ja nicht nur ein Überblick über das Verkehrsgeschehen, sie sind – besonders morgens – auch Zeit zur Kontemplation."

Wieder sorgt eine dänische Karikatur für Streit

Ohne große Kontemplation beschrieb Kai Strittmatter in der SZ eine Karikatur des Dänen Niels Bo Bojesen zum Coronavirus: "Die chinesische Flagge. An die Stelle der fünf gelben Sterne hat der Zeichner allerdings fünf stachelige Viren gesetzt." Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" hat die Karikatur abgedruckt. Dieselbe Zeitung hatte 2005 die Mohammed-Karikaturen veröffentlicht und, so Strittmatter, "Dänemarks wohl größte außenpolitische Krise der letzten Jahrzehnte ausgelöst".
Nun also eine kleine diplomatische Krise mit China. Die dänische Zeitung und der Zeichner müssten sich beim chinesischen Volk für die Virus-Karikatur entschuldigen, forderte die chinesische Botschaft. "Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, das wir nicht für falsch halten", konterte der Chefredakteur von "Jyllands-Posten". Für Strittmatter geht es in diesem Fall um mehr als nur eine Zeichnung:
"Mit einem Mal sieht man sich auch in Dänemark mit der Herausforderung durch eine Diktatur konfrontiert, mit der man beste Geschäfte macht, die aber neuerdings die ganze Welt als ihr Interessengebiet entdeckt hat, und die deshalb nun auch mitten in Europa versucht, ihre Praktiken und Sprachregelungen durchzusetzen."

"Causa Bauer wirft kein gutes Licht auf Filmhistoriker"

Apropos Diktatur: Just in dieser Woche, in der sich die Befreiung von Auschwitz zum 75. Mal jährte, in der Historiker im Kulturausschuss des Bundestages einschätzten, ob die Hohenzollern dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hatten, und in der die Berlinale ihr Programm vorstellte, just in dieser Woche enthüllte DIE ZEIT, dass Alfred Bauer ein überzeugter Nazi war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Bauer der erste Direktor der Berlinale. Der nach ihm benannte Preis der Berlinale wird nach den Enthüllungen in diesem Jahr ausgesetzt. Bauer hatte sich der Entnazifizierungskommission gegenüber dreist als "innerer Widerständler" dargestellt und seinen Posten, dazu einen "hochrangigen", in der von Goebbels gegründeten Reichsfilmintendanz bestritten.
Katja Nicodemus zitierte in der ZEIT aus einem Gesinnungsgutachten zu Bauer von 1942: "Dr. Bauer war vor seiner Einberufung ein eifriger SA-Mann." Auch der Filmhistoriker Rolf Aurich zitierte für sein Buch über Bauer, das er auf der Berlinale vorstellen wollte und der ZEIT vorab als PDF vorlag, aus diesem Nazi-Gutachten. Nicodemus zufolge aber nicht die Worte "eifriger SA-Mann".
Stattdessen habe der Filmhistoriker Bauer als Menschen mit "tadellosem sittlichen und moralischen Verhalten" bezeichnet. "Die Causa Bauer wirft kein gutes Licht auf die Zunft der Filmhistoriker", urteilten Christiane Peitz und Jonas Bickelmann im TAGESSPIEGEL. Die "Neigung zur Heldensage" bei Veröffentlichungen zur Berlinale sei "unübersehbar", kritisiert Claudius Seidl nun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG und fordert: "Eine Geschichte der Filmgeschichte Berlins und der Berlinale müsste dringend geschrieben werden."
Und vielleicht auch noch eine Geschichte der Geschichte der Geschichte? Aber wer könnte die dann noch ernst nehmen? "Was muss noch passieren, damit alle den Klimawandel ernst nehmen?", fragte die TAZ Friedrich Küppersbusch. Und der antwortete: "Nichts. Das Klima nimmt uns ernst."
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