Aus den Feuilletons

Die Herrschaft der Kuscheltiere

04:15 Minuten
Weiße Plüschmäuse auf einem Haufen.
In Samanta Schweblins neuem Roman bestimmen „Plüschtier-Roboter“ die Welt. © imago / Steffen Schellhorn
Von Ulrike Timm |
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„Kuscheln und überwachen“ überschreibt die TAZ ihren Artikel über Samanta Schweblins Roman „Hundert Augen“. Darin übernehmen ferngesteuerte Plüschtiere das Ruder – und die Menschen überlassen es ihnen nur zu gern.
„Eigentlich sollte ich etwas schreiben über das, was die Welt bewegt oder zurzeit nicht genug bewegt: den Klimawandel.“ Dazu hat Altmeister Volker Schlöndorff gerade einen neuen Film in der Pipeline, kommt aber coronabedingt nicht weiter. Und deshalb schreibt er in der FAZ eben doch über sein Metier und seine Liebe, das Kino. Das leidet unter den augenblicklich möglichen Besucherzahlen, unter verschobenen Filmstarts, unter Streaming sowieso. Trotzdem ist Schlöndorff nicht allzu bange. Immer hätten Menschen Orte gesucht und gebraucht, um etwas gemeinsam zu erleben. „Das waren Theater und Konzertsaal für die einen, der Fußballplatz für die anderen – und Kino war ein Ort für alle“, schreibt Schlöndorff in der FAZ.
War. Also: Imperfekt.
„Die digitalen Technologien haben neue Formen des Erzählens hervorgebracht, nicht zuletzt der Serien, die eine ganze Generation dem Kino entfremdet haben.“ Schlöndorff bekennt, selbst seriensüchtig zu sein, und ist sich doch sicher:
„Der Fortsetzungsroman hat auch nicht die gesamte Belletristik hinweggefegt, und wenn der Vergleich stimmt, wird es auch wieder Bergmans und Fellinis geben, Antonionis und de Sicas, Formans und Fassbinders, die Filme machen, von denen jeder ein Einzelstück ist und die eine große Leinwand und den geschlossenen Raum mit anderen brauchen, um mit dem Publikum zu kommunizieren. So ist weder der Autorenfilm noch das Kino tot. Beide werden nur von einer neuen Generation neu erfunden werden.Unsere Sehnsucht hinterlässt eine nie zu schließende Marktlücke.“
Schlöndorffs optimistisch-realistische Emphase finden Sie in der FAZ.

„Intimitätskoordinatoren?! – Das regele ich lieber selbst“

Seine Blechtrommel-Verfilmung kommt zum 40. Oscar-Jubiläum neu restauriert ins Kino, und die TAZ hat aus diesem Anlass mit Katharina Thalbach gesprochen, die damals als junge Schauspielerin mitmachte. Für die sogenannte Brausepulverszene – berühmt und damals ziemlich skandalös für das ganz große erotische Prickeln im Bauchnabel und darunter – für die Brausepulverszene gäbe es heute ganz sicher Intimitätskoordinatoren, meint die TAZ. Dazu Thalbach: „Hä? Intimitätskoordinatoren? Nee, nee, das regele ich lieber selber, dazu brauche ich keinen Koordinator, das klingt auch sehr sperrig. Ich habe mich nie überrennen lassen.“
Vom Film zum Buch – auch nicht totzukriegen, schon weil man es mit sich alleine erleben kann. Derzeit boomt vor allem das Sachbuch. Ein Grund könnte das Bedürfnis nach Wissen in einer Zeit der alternativen Fakten und Fake News sein, hofft die WELT. Verleger Jonathan Beck, der kompakt gefasste Sachbücher zu verschiedensten Themen herausgibt, ergänzt eher nüchtern: „Ein anderer Grund könnte sein, dass die buchaffine Generation der Babyboomer in den Ruhestand geht und sich in ihrer neuen Freizeit auch guten Sachbüchern widmet.“

Hymne auf die Fledermaus

Da geht der Roman von Samanta Schweblin, dem sich die TAZ ausführlich widmet, doch ganz andere Wege: Ferngesteuerte Plüschtiere bestimmen die Welt. „Nach 252 Seiten versteht man genau, warum Menschen ihre Privatsphäre aufgeben, um sich auf dieses schräge Spiel einzulassen“, meint die TAZ und titelt: „Überwachen und Kuscheln“.
Eine Seite weiter würde die gleiche Überschrift auch zum Bild passen: lauter Fledermäuse, eng aneinander gekuschelt, aber echte, keine Plüschtiere. „Die Fledermaus hat ein PR-Problem“, bedauert Heiko Werning, immer müsse sie herhalten für billige Schockmomente in Vampirfilmen, Heldin sei sie eigentlich nur, wenn sie umstrittene Bauprojekte verzögere wie die seinerzeit die Waldschlößchenbrücke oder die A20. Vor allem aber: Ihr Lebensraum werde knapp. Und so bringt die TAZ eine Hymne auf das kleine Vieh und freut sich auf die „24. Europäische Fledermausnacht“ an diesem Wochenende, auch wenn die zentrale Festveranstaltung der „Batnight“ coronabedingt ausfalle. Auch das habe sein Gutes, so die TAZ: „Vielleicht lernen wir daraus ja, den Fledermäusen nicht mehr zu sehr auf den Pelz zu rücken.“
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