Aus den Feuilletons

Die Grimassen des Pianisten

04:11 Minuten
Der Pianist Alfred Brendel spielt mit offenem Mund Klavier.
Wird am 5. Januar 90 Jahre alt: der Pianist Alfred Brendel. © picture-alliance /dpa/Hermann Wöstmann
Von Ulrike Timm · 29.12.2020
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Die "Zeit" blickt ins nächste Jahr und kündigt den 90. Geburtstag von Alfred Brendel an. Der ist berühmt für seine Grimassen während des Klavierspielens. Er habe versucht, sie sich abzugewöhnen, so Brendel, aber mit mäßigem Erfolg.
"Die herrlichsten Geburtstage 2021" – so füllt die ZEIT ihr neues Feuilleton und bringt große Jubilare des kommenden Jahres schon mal in Stellung. Wobei uns im Titel der große Weltbürger und Komiker Peter Ustinov demonstrativ – ätsch – die Zunge rausstreckt, denn für Peter Kümmel wäre der vielsprachige Kosmopolit der einzige gewesen, dem er zutraut, "Europa im Alleingang zusammenzuhalten."
Allein, Ustinov würde demnächst zwar 100, ist aber schon seit 16 Jahren tot. Den Hundertsten würde er mit Joseph Beuys teilen, Albrecht Dürer dagegen kommt auf stolze 550 Jahre in 2021 – wer wird wohl mehr gefeiert und beguckt?
"Ihre Waffe war ihr Geist", meint Jens Jessen und vergleicht kühn die Marquise der Pompadour – 300.! – und Rosa Luxemburg, halb so alt, bloß 150. Geburtstag. Beider Lebenselement war die Politik, wobei die Leute das beim königlichen Bettschatz Ludwigs XV. noch viel zu wenig wissen – lässt sich nachholen im kommenden Jahr!
Ein lebender Jubilar – wie mag er sich zwischen all den verblichenen Heroes platziert fühlen? – ist der große Pianist Alfred Brendel. Er wird 2021 hoffentlich fröhliche und gesunde 90. Und meint zur Frage nach seinen berühmten bekümmerten Grimassen beim Klavierspiel, er habe versucht, sie sich abzugewöhnen. Hätte aber nur ein bisschen geklappt. Es gäbe eben auch Pianisten, die "mit dem Kiefer tremolieren oder die Miene verziehen, als würden sie gleich weinen".

Lange Liste des Rechtsextremismus

Die TAZ schaut zurück und widmet sich einer ernsten Frage, nämlich: "Wie viele Fälle ergeben ein 'Problem'?" Wie viel Aufarbeitung hat die Polizei nötig, wenn es um rechtsextreme Vorfälle geht? Eindringlich wie kommentarlos wirkt die Liste der rechtsextremen Vorfälle 2020, die Denis Gießler zusammengestellt hat, und die eine eng beschriebene Seite füllen.
Vom rechtsextremen Gruppenchat unter Polizisten in Berlin bis zu 67 Suspendierungen in Bayern im April dieses Jahres. Ja, es ist eine kleine Minderheit, aber eben: "Wie viele Fälle ergeben ein 'Problem'"? Man schaut doch recht beklommen auf die lange TAZ-Liste.

Der Köder soll dem Fisch schmecken

"Das ist der Kern des Übels" – keine falschen Vermutungen bitte, wir sind gesprungen und gelandet in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Die hat ein Abschiedsgespräch mit Arte-Filmchef Andreas Schreitmüller geführt, der in den Ruhestand geht. Es geht um den Serienhype und Produktionen von Tatort bis Traumschiff.
Am Anfang aber steht stets ein Manuskript. Wie merkt man, ob es taugt? "Ein wichtiges Kriterium ist, ob es einen selber interessiert", sagt Schreitmüller, und weiter: "Der RTL-Chef Helmut Thoma hat mal gesagt: Der Köder muss ja nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch. Das ist zwar ein lustiges Bonmot, aber eigentlich eine ganz schreckliche Haltung. Ich habe den Anspruch: Das, was ich gut finde, muss man dann so gut machen, dass es funktioniert."
Im Zusammenhang des Interviews klingt das weder eingebildet noch naseweis, sondern nach einem Anspruch, den der Mann bitte weitergeben sollte. Zudem: Oft genug gehen die Angler ja leer aus. Fische sind eben nicht so doof.

Wie gelingt der Künstlerkopf?

Und damit noch mal kurz zurück zur ZEIT-Bestenliste für 2021. Denn der Pianist Alfred Brendel gibt auf die verständliche, aber immer auch ziemlich hilflos-verpeilte Frage, wie man denn von einem Klavierspieler zu einem Künstler werde, eine typische Alfred-Brendel-Antwort.
An der können wir uns im kommenden Jahr abarbeiten: "Man steht auf, macht zehn Kniebeugen, isst zwei rohe Eier und eine Birne, betet sieben Vaterunser, läuft dreimal ums Haus und verbringt den Rest des Tages vor dem Spiegel, bis man plötzlich sieht: Ja. Tatsächlich, ein Künstlerkopf!"
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