Aus den Feuilletons

Die ferne Diktatur, die immer näher kommt

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Eine Karikatur in der dänischen Zeitung Jylland Posten zeigt die Chinesische Flagge mit einem virusartigen Planeten und Monden, die an das Coronavirus erinnern soll.
Diese Karikatur in der dänischen Zeitung "Jylland Posten" belastet die Beziehung zwischen Dänemark und China. © imago images / Scanpix / Ida Marie Odgaard
Von Tobias Wenzel · 29.01.2020
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Eine Karikatur in "Jyllands-Posten" zum Coronavirus löst eine Krise zwischen Dänemark und China aus. Die Zeitung soll sich entschuldigen. China versuche inzwischen, die eigenen Praktiken und Sprachregelungen auch mitten in Europa durchzusetzen, so die "SZ".
"Die chinesische Flagge. An die Stelle der fünf gelben Sterne hat der Zeichner allerdings fünf stachelige Viren gesetzt." So beschreibt Kai Strittmatter in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Karikatur zum Coronavirus, die am Montag in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" erschienen ist.
"Jyllands-Posten"? Genau, das ist die Zeitung, die 2005 die Mohammed-Karikaturen abgedruckt und – so Strittmatter – "Dänemarks wohl größte außenpolitische Krise der letzten Jahrzehnte ausgelöst hatte." Nun also eine kleine diplomatische Krise mit China wegen der gezeichneten Virus-Flagge. Die Karikatur wäre im Blätterrauschen sicher untergegangen, wenn, vermutet Strittmatter, die chinesische Botschaft in Kopenhagen die Welt nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.

Erinnerung an die Mohammed-Karikaturen

Die dänische Zeitung und der Zeichner der Karikatur, Niels Bo Bojesen, müssten sich beim chinesischen Volk entschuldigen, forderte die chinesische Botschaft. "Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, das wir nicht für falsch halten", konterte der Chefredakteur von "Jyllands-Posten". Der neue Fall sei zwar nicht vergleichbar mit den Folgen der Mohammed-Karikaturen, als dänische Flaggen verbrannt und dänische Botschaften angegriffen worden seien, schreibt Strittmatter. Allerdings gehe es nun auch um mehr als nur eine Zeichnung:
"Mit einem Mal sieht man sich auch in Dänemark mit der Herausforderung durch eine Diktatur konfrontiert, mit der man beste Geschäfte macht, die aber neuerdings die ganze Welt als ihr Interessengebiet entdeckt hat, und die deshalb nun auch mitten in Europa versucht, ihre Praktiken und Sprachregelungen durchzusetzen."

Lektoren als angebliche Verbreiter von Terrorpropaganda

Offensichtlich versucht gerade die türkische Regierung mit dem verlängerten Arm der Justiz etwas ganz Ähnliches. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zitiert die türkische, mittlerweile in Deutschland lebende Autorin Asli Erdogan: Nicht nur ihr selbst werde vorgeworfen, "terroristische Propaganda" verbreitet zu haben, sondern auch den Lektoren der Verlage, die ihre Essay-Sammlung "Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch" veröffentlicht haben.
Darunter ist auch der deutsche Verlag Penguin/Knaus. Es geht im Prozess gegen die Autorin ihr zufolge unter anderem um den Essay "Faschismustagebuch: Heute":
"Sie beschreibt darin auf abstrakte Weise den seelischen Zerfall des Individuums unter der Geißel eines Unterdrückungsapparates, verstärkt durch die Bürde, 'Zeuge zu sein'", analysiert Axel Weidemann. Es werde im Text aber weder ein Land noch ein Name noch eine Zeit genannt. Bis zu neun Jahren Gefängnis drohen Asli Erdogan.
Am 14. Februar ist Urteilsverkündung. Die Autorin wird sie aus dem sicheren Exil in Deutschland verfolgen.

Can Dündar auf der Suche nach einer Wohnung

Dort, in Berlin, lebt schon seit einigen Jahren der türkische Journalist Can Dündar. Auch er weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn der Rechtsstaat korrodiert und ein Prozess plötzlich politisch motiviert ist. In Berlin hatte Dündar ein ganz anderes Problem: eine Mietwohnung zu bekommen. So sei von ihm, berichtet er in der ZEIT, eine Bestätigung vom letzten Vermieter verlangt worden, dass er immer pünktlich seine Miete gezahlt habe: "Damit belegen Sie 'gute Führung'", schreibt Dündar. "Schwierig für jemanden wie mich, der in seinem Herkunftsland aufgrund seiner Texte als 'Terrorist' angeklagt ist und auf Erdoğans Betreiben von Interpol per Red Notice gesucht wird."
Einem der Wohnungseigentümer sei das Thema Müll sehr wichtig gewesen. "Als er klagte, Ausländer würden nicht auf Mülltrennung achten, beruhigte ich ihn: 'Keine Sorge, da bin ich penibel. Beim Export von Plastikmüll in die Türkei ist Deutschland führend. Was wir hier sorgsam trennen, geht direkt in mein Land. Natürlich möchte ich nicht, dass sich anderer Müll daruntermischt'", erinnert sich Dündar und ergänzt: "Diese Wohnung bekam ich dann leider nicht."
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