Aus den Feuilletons

Die ewige Klage übers Brabbeln und Plappern

04:22 Minuten
Ein lachender junger Mann mit Schal, Mütze und Gitarre auf dem Rücken spricht eine Nachricht in sein Smartphone (Symbolfoto)
Ein Gedicht! Die FAZ hat geliefert: "Wir alle lallen. Dieser Mensch da lallt." Und so weiter in bewährter kulturkritischer Manier. © imago/Westend61
Von Hans von Trotha · 21.11.2019
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Die englische Schriftstellerin George Eliot ließ ihre Heldinnen zu viel reden, kolportiert die "Welt". Und das Smartphone lässt uns, die wir heute leben, zu viel reden bzw. lallen, heißt es in der "FAZ", die sich eine stille Zeit wünscht.
Ist das Feuilleton der richtige Ort, sich zu beschweren, dass zu viel geredet wird? In der WELT geht Richard Kämmerlings das Thema immerhin literaturkritisch an, indem er anlässlich des 200. Geburtstags der englischen Schriftstellerin George Eliot die Frage stellt: "Reden ihre Heldinnen zu viel?"
Das hat Kämmerlings von Virginia Woolf. Die war, wie viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, durchaus Fan von Eliots ganz großem Roman "Middelmarch", gab aber auch zu Protokoll: "She allows her heroines to talk too much." – "Sie erlaubt ihren Heldinnen, zu viel zu reden."
Edo Reents vergreift sich dagegen in der FAZ an Rilke, um mit vielen Worten Klage zu führen, dass zu viel geredet wird. Er wünscht sich eine "stille Zeit". So weit, so gut. Dass aber jeder, alle Jahre wieder, wenn Herbst ist und ihm das Wort "Zeit" über den Weg läuft, meint, Rilke zitieren zu müssen, das ist bedauerlich.

"Reden, Brabbeln und Plappern mit Hilfe der Smartphones"

"Nicht bedauerlich wäre es dagegen, wenn einmal Ruhe einkehren wollte", schreibt Reents. "Sicher", geht es weiter, "über den Widerspruch zwischen der Adventszeit und der allgemeinen Hektik wird Klage geführt, seit Weihnachten ein einziges Kaufen, Schenken und Reisen ist. Aber das meinen wir gar nicht", fährt er in feuilletonistischem Pluralis Majestatis fort.
"Wir meinen vielmehr das allgemeine Reden, Brabbeln und Plappern mit Hilfe der Smartphones". Und dann kommt's: Mit den Worten "Wenn man sich darauf einen Reim machen wollte", fordert Reents sich selbst dazu auf, etwas zu tun, was er vielleicht besser bleiben ließe, "dann könnte", geht es nämlich weiter, der - also der Reim - nur ein wenig frei nach Rilke, so lauten:
"'Wir alle lallen. Dieser Mensch da lallt. / Und sieh dir andre an: es ist in allen. / Und doch ist Einer, welcher dieses Lallen / unendlich sanft in seinem Handy hält.'" Ok. – "Naja", fährt Reents selbst noch fort, "wir lallen vielleicht nicht alle, einige reden auch ganz vernünftig" – was man den soeben zitierten Zeilen nicht wirklich bescheinigen kann.

Frankreich: "Das Radio boomt, wird aber bestreikt"

Wo übrigens noch mehr geredet, gebrabbelt und geplappert wird als im Feuilleton, ist natürlich im Radio. Da hat die FAZ richtig gute Nachrichten: "So beliebt waren die öffentlich-rechtlichen Radiosender noch nie." Das meldet Jürg Altwegg – was geübte Feuilleton-Leserinnen und -Leser schon erkennen lässt, dass diese Meldung aus Frankreich kommt. "Frankreich hört hin", heißt es da, "das Radio boomt, wird aber bestreikt" – "Und die Techniker verfügen, wie ein Chefredakteur es ausdrückte", den Altwegg zitiert, "'im Radio über die Atombombe'". – Womit das auch mal allgemein bekannt gemacht wäre.
Das ist sicher auch nicht die "stille Zeit", die Edo Reents sich wünscht, der übrigens meint, gegen die Adventshektik sei "wohl selbst Greta Thunberg machtlos". Derzeit bestimmt, denn die ist unterwegs, hat endlich eine "Mitsegelgelegenheit" von Amerika nach Europa gefunden, wie Jürgen Schmieder es in der SÜDDEUTSCHEN nennt. Und was geschieht da auf Hoher See: Wir ahnen es: Reden, brabbeln, plappern.
"Sie würden sich viel unterhalten an Bord", berichtet die SÜDDEUTSCHE vom Schiff, "auch darüber, ob Angst nicht ein stärkerer Katalysator zum Handeln sei als Liebe". Na wenn das keine Frage von literarischem Rang ist – die George Eliot in "Middlemarch" übrigens längst beantwortet hat. Aber keine Sorge, nichts geht verloren: "Die Leute werden das alles erfahren", beruhigt die SÜDDEUTSCHE, "im nächsten Video" auf der Website von "Sailing La Vagabonde", der Seite des Paars mit Kind, das Greta Thunberg nach Europa segelt.

Das Sandmännchen wird 60

Ruhig wird's immer erst, wenn alle schlafen. Also nach dem Sandmännchen. Das Sandmännchen redet übrigens gar nicht. Dabei hat es uns trotzdem viel zu sagen, worauf Holger Gertz in der SÜDDEUTSCHEN hinweist, nachdem er zuvor behauptet, der Ost-Sandmann habe einst an Walter Ulbricht erinnert und der im Westen an Käpt'n Iglo:
"Als die sehr ostdeutsche Kandidatin Melanie Müller 2014 im Dschungelcamp antrat", erzählt Gertz, "hatte sie sich vorher ein Tattoo auf den Hintern stechen lassen: Der Sandmann. Darunter der Schriftzug 'Schöne Grüße aus dem Osten'. Denn das Ost-Sandmännchen ist inzwischen das Sandmännchen, es gibt ja kein anderes. Nun wird es 60 und ist immer noch für alle da, ein Elder Statesman beziehungsweise", so Gertz' Kalauer zur Nacht, "Elder Sandman. Was für eine Geschichte", meint Gertz. Ihr Titel: "Schlaft recht schön."
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