Aus den Feuilletons

Die erste digitale Amtsenthebung

04:16 Minuten
Ein Aktivist auf einer Anti Trump Demo hält eine Piñata die wie das Twitterlogo geformt ist in der Hand. San Francisco, Kalifornien, 2020.
"Es darf nicht die Aufgabe von Internetkonzernen sein, Politik zu gestalten", findet die "Welt". © Getty Images / Justin Sullivan
Von Klaus Pokatzky · 10.01.2021
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Tech-Konzerne lassen den mächtigsten Mann der Welt in den sozialen Medien verstummen. Erweist sich damit die digitale Welt als fünfte Macht im Staat? Oder zeugt das von einer monströsen Machtfülle, die man reduzieren sollte?
"Der Lösungssatz für unser literarisches Neujahrsrätsel lautet", teilt uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG mit, "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine."
In der Nacht haben Sie ja uns: das Radio. Und welche Werke wurden gesucht beim Literarischen Neujahrsrätsel? "11. Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts."
Ja, da fällt uns gerade natürlich einer ein. "Twitter und Facebook sperren Donald Trump, um zu verhindern, dass er zu mehr Gewalt anstiftet", lesen wir in der Tageszeitung TAZ. "Auch die Konten seiner treuesten Anhängerschaft wurden dort blockiert", schreibt Tanja Tricarico und bleibt realistisch:
"Sicher ist, dass sich Trump-Fans online ein neues Forum suchen, um ihre kruden Ideologien zu radikalisieren und zu verbreiten. Sogar von einer eigenen, neuen Plattform ist die Rede. Trump hat jedenfalls schon 'Großes' angekündigt."

Fünfte Macht im Staat

Größer als das, was die bisherigen Internet-Giganten anzubieten haben, dürfte es wohl kaum werden. "Der technisch simple Vorgang manifestiert eine neue Realität im Staatswesen", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Abschalten von Trump und seinen Freunden.
"Das war ein historischer Wendepunkt. Er bestätigte die digitale Welt offiziell als fünfte Macht im Staat", meint Andrian Kreye. "Bei allen politikwissenschaftlichen Diskursen, die die digitale Amtsenthebung Donald Trumps nun nach sich zieht, wird deutlich werden, dass sich die fünfte Gewalt im Staat nur einer einzigen Bevölkerungsgruppe verantwortlich fühlt. Den Aktionären."
Und damit wird natürlich eine grundsätzliche Frage aufgeworfen. "Es darf nicht die Aufgabe von Internetkonzernen sein, Politik zu gestalten", findet die Tageszeitung DIE WELT. "Wenn sie anfangen, unliebsame Positionen abzuschalten, müssen wir sie ausschalten", fordert Mladen Gladić. "Schon weil es beim nächsten Mal jemand anderen als Donald Trump treffen könnte, der gesperrt wird."

Auch klassische Medien wählen aus, was sie veröffentlichen

Dabei stellt sich allerdings auch die Frage, ob die mächtigen Netzwerke nicht genau das Gleiche machen wie die altbekannten Medienkonzerne, die ja auch entscheiden, welche politischen Positionen sie als liebsam und welche sie als unliebsam präsentieren; das ist Pressefreiheit.
Mladen Gladić in der WELT sieht jetzt aber "die Monstrosität einer Machtfülle" und er findet, "dass multinationale Unternehmen einen noch amtierenden US-Präsidenten fast komplett verstummen lassen können, dass sie mächtiger sind als der mächtigste Mann der Welt".
Aber hat der Mann nicht immer noch eine Pressestelle, werden seine Verlautbarungen nicht nach wie vor von den ganz normalen Medien verbreitet? Glaubt eine Zeitung wie DIE WELT, dass die Berichterstattung von Zeitungen keinerlei Einfluss mehr hat?
"Fox News hat schon mehrmals signalisiert, dass es die ideologische Heimat der Trump-Wähler bleiben wird", stellt die SÜDDEUTSCHE ganz nüchtern fest. Verstummen wird der Mann also ganz sicher nicht.

Die liberale Demokratie ist fragil

"Wir müssen Autokraten wie Trump wörtlich und ernst nehmen, beides zugleich und ständig", steht im Berliner TAGESSPIEGEL. "Dass sie irritierend unintelligent sein mögen, kann dazu führen, dass wir weder das eine noch das andere tun, was ein Fehler ist: Dann unterschätzen wir sie", warnt uns Klaus Brinkbäumer. "Das ist gefährlich, denn wir unterschätzen bereits, wie jung und fragil die liberale Demokratie ist."
Die passende Literaturempfehlung entnehmen wir da dem literarischen Neujahrsrätsel der SÜDDEUTSCHEN: "8. Annette von Droste-Hülshoff: Durchwachte Nacht."
Wir wünschen eine friedvolle Nacht.
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