Aus den Feuilletons

Die Dialektik zwischen Jäger und Gejagtem

04:17 Minuten
Bugs Bunny mit Entenfüssen und Duffy Duck mit Hasenohren verwirren den Jäger.
Da kann der Jäger schon mal den Überblick verlieren: Die "Süddeutsche Zeitung" gratuliert Bugs Bunny (hier mit Entenfüßen) zum Geburtstag. © imago images / Everett Collection
Von Burkhard Müller-Ullrich · 26.07.2020
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Bugs Bunny wird 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass analysiert die "Süddeutsche Zeitung" die Beziehungen zwischen dem Comic-Hasen und dem ihn unermüdlich verfolgenden Jäger. Klares Fazit: Es herrsche eine geradezu dialektische Hassliebe zwischen den beiden.
Im Namen des Antirassismus werden nicht nur Denkmäler gestürzt und Bücher umgeschrieben, sondern auch geografische Bezeichnungen getilgt. In Berlin, wo bereits die Mohrenstraße betroffen ist, geht es jetzt um eine weitere U-Bahn-Station, nämlich die U-Bahn-Station "Onkel Toms Hütte".
Ein 22-jähriger Basketballspieler, Sohn eines Deutschen und einer Kamerunerin, nimmt an dem Namen Anstoß und hat eine Petition für eine Umbenennung lanciert. Das ist für Paul Ingendaay Anlass, in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG den kulturellen Hintergrund der Namensgebung auszuleuchten.

Im Sterben verzeiht er den Unterdrückern

Ingendaay verweist zunächst darauf, daß der berühmte Roman aus dem Jahr 1852, auf dessen Titel der Bahnhofsname anspielt, als Meilenstein des Antirassismus gilt. Die Autorin Harriet Beecher Stowe, Tochter eines bekannten Geistlichen, wandte sich damit gegen das damals gerade in Kraft getretene Gesetz, das jeden Bewohner der Nord- und Südstaaten verpflichtete, geflüchtete Sklaven anzuzeigen.
"Heinrich Heine verglich den Roman mit der Bibel; George Sand nannte die Autorin eine Heilige."
Dennoch lässt sich der Vorwurf des Rassismus damit nicht einfach abtun, wie Ingendaay mit anglistischer Akribie darlegt. Das Buch feiert einen schwarzen Sklaven dafür, daß er sich als guter Christ für seine Mitsklaven aufopfert und im Sterben den weißen Unterdrückern verzeiht.
"Der fromme Kitsch ist das einzige Ticket, um den Schwarzen ins helle Licht der Erlösung zu transportieren", resümiert Ingendaay und nennt das Werk einen "geschickten Mix aus Erbauung und Folterpornographie". Und weiter schreibt der FAZ-Feuilletonredakteur:
"Es mag den Fans des Buches unfair vorkommen, die Klischees des sentimentalen Romans einer Autorin anzulasten, die ja gegen die Sklaverei kämpfte, aber eben darum geht es: Der zeittypische Rassismus des Buches gehört untrennbar zu seiner Konzeption und funktioniert unabhängig von seiner sozialreformerischen Absicht."
Zur Umbenennung des Bahnhofs wird es vermutlich nicht kommen; Onkel Toms Hütte war der Spitzname für ein uraltes Berliner Ausflugslokal, dessen erster Wirt Thomas hieß.
Aber ein wenig literarische Aufklärung hat der Namensstreit dann doch gebracht, wenngleich im Zeichen des Kitsches, und zwar doppelt: einerseits weil der Roman durchaus kitschig ist und andererseits weil es der politische Aktivismus, der sich in Namenssäuberungen äußert, auch ist.

Kitsch greift das Denken an

Das führt der Philosoph Alexander Grau in einem Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus, der mit der Feststellung beginnt: "Politischer Kitsch hat Hochkonjunktur."
Dort heißt es: "Kitsch in der Politik ist unvermeidbar. Wer meint, allein mit rein rationalen Argumenten und kühler Sachlichkeit einen Wahlkampf zu gewinnen, der hat ihn schon verloren."
Aber während hier Gefühle als Mittel zum Zweck dienen, greift der Kitsch das klare Denken selber an: es kommt zu einer "radikalen Ambivalenzverweigerung".
"Im Alltag zeigt sich das kitschige Bewusstsein daher als Verfechter einer rigiden Gesinnungsethik. Was das Gute ist, ist aus seiner Sicht unmittelbar evident." Daher rührt eine ungeheure Selbstgerechtigkeit, die Alexander Grau so charakterisiert:
"Einseitigkeit wird zur Tugend, Intoleranz zum Gebot der Stunde. Denn nichts verunsichert das kitschige Bewusstsein mehr als der Pluralismus der Weltsichten und moralischen Urteile."

Nichts war mehr sicher

So gesehen ist die Zeichentrickfigur Bugs Bunny durchaus unkitschig, denn zwischen dem Jäger, der ihn totschießt, und dem wiederauferstandenen Hasen, der den Jäger dafür tröstet, herrscht eine geradezu dialektische Hassliebe, wie Fritz Göttler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG feststellt – und zwar aus gegebenem Anlass: Bugs Bunny wird gerade 80 Jahre alt.
Die wilden, kurzen Cartoons sind, laut Göttler, "vollgepackt mit den amerikanischen Macken, Eruptionen von Anarchie, immer an der Schmerzgrenze. Amerika hatte eben die große Depression hinter sich, in Europa hatte ein neuer Weltkrieg begonnen, nichts schien mehr sicher und normal." Letzteres trifft allerdings auch auf heute zu.
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