Aus den Feuilletons

Die bedrohliche Ruhe nach der Revolution

Von Tobias Wenzel · 01.03.2014
In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wird der Kündigung von Serge Dorny an der Dresdner Semperoper auf den Grund gegangen und die "Süddeutsche Zeitung" blickt in die Ukraine nach dem Umsturz.
"Wer sich nicht ruiniert, aus dem wird nichts.“ Diesen Satz von Peter Rühmkorf hat Verleger Gerd Haffmans zu seinem Motto gemacht, berichtete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am Freitag zum 70. Geburtstag Haffmans. Der hatte sich einst mit seinem eigenen, nach ihm benannten Verlag so sehr überschuldet, dass er ihn aufgab. Bei der Gründung soll er seinen Mitarbeitern gesagt haben: "Wenn es sein muss: fröhlich und feste aus dem letzten Loch.“ Diese Freude im Untergang, die Lust am Kämpfen bis zum Zusammenbruch, scheinen mit Gerd Haffmans allerdings nicht viele jener Zeitgenossen zu teilen, die in den von Ränken und Kämpfen bestimmten Feuilletons dieser Woche zu Wort kamen.
Das sächsische Kunstministerium hatte dem neuen Intendanten der Dresdner Semperoper Serge Dorny gekündigt, noch bevor der sein Amt antreten konnte. Angeblich, weil eine konstruktive Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich gewesen sei. "Was dort geschehen ist, grenzt an Rufmord“, rief Dorny beleidigt im Gespräch mit Eleonore Büning von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aus.
Ihm sei erst spät klar geworden, dass Kapellmeister Christian Thielemann teilweise die gleichen Kompetenzen besitze wie er, Dorny, als Intendant. Er habe nichts gegen Thielemann. Im Gegenteil: "Thielmann ist ein großartiger Dirigent, seine Staatskapelle ein Juwel.“ Thielemann wiederum gab, ebenfalls im Gespräch mit der FAZ, das Lob zurück. In der ZEIT wurde er allerdings etwas deutlicher: Dorny habe sich schließlich wie "Monsieur le Président“ aufgeführt. Touché. Der saß, dieser ritterliche Hieb à la française.
Deutlich unelegantere Geschütze fuhr Heiko Wernig von der TAZ gegen seinen Kollegen Matthias Matussek auf und dessen schwulenfeindliche Äußerungen: "Womöglich müsste sich nur ein Geschlechtsgenosse erbarmen und den Mann mal ordentlich rannehmen, so ganz im Sinne der Natur.“
Ungewissen Zukunft des Landes
Streit um die Freiheit der sexuellen Ausrichtung, um Kompetenzen eines Opernintendanten, um den Zustand der neuen deutschen Literatur – der verbale Schlagabtausch wirkte doch wie ein ferner Hall im Vergleich zu dem dominierenden Feuilleton-Thema: der Ukraine, den toten Demonstranten, der ungewissen Zukunft des Landes. "Die neue Revolution ist mit allzu vielen Menschenleben bezahlt worden, als dass sie noch einmal scheitern dürfte“, schrieb der ukrainische Schriftsteller Mykola Rjabtschuk in der FAZ, verwies auf die schlechten Erfahrungen mit den zwei vorigen Revolutionen des Landes und formulierte die Forderung vieler Ukrainer, der Maidan müsse erst einmal bleiben, damit man der neuen Regierung weiter "auf die Finger schauen“ könne.
Larisa Denisenko, Anwältin und Autorin aus Kiew, beschrieb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die gespenstisch-bedrohliche Ruhe nach der Revolution: "Im Morgengrauen hört man besonders gut, wie die Krähen schreien. Die Glocken des Michaijlowski-Klosters sind derart schrill, dass sie an den Schrei eines großen, aufgescheuchten Vogels erinnern, der seine Küken vor Gefahr warnt.“
Die Gewalt der Drogenbanden in Mexiko
Das liest sich nun beinahe so, als hätte die Autorin die russische Invasion auf der Krim vorausgesehen. Den Russen und Ukrainern der Halbinsel, die meinen, gar gestützt von der russischen bzw. der ukrainischen Regierung, selbst das Recht und die Waffe in die Hand nehmen zu müssen, möchte man jenen Artikel von Héctor Abad unter die Nase halten, mit dem die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ihr Feuilleton vom Freitag aufmachte. Darin berichtete der kolumbianische Schriftsteller mit großer Sorge über Bürgerwehren, die sich in Mexiko als Reaktion auf die Gewalt der Drogenbanden gebildet haben und die der Staat duldet. Nach dem Motto: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“
Wohin das führt, weiß Héctor Abad nur zu gut aus seinem eigenen Land. Vor 25 Jahren ließ der kolumbianische Staat im ermüdenden Kampf gegen Drogenkartelle und Rebellen die Bürgerwehr "Convivir“ einfach schalten und walten. Die Mitglieder von "Convivir“, so Abad, hätten sich aber bald in "geheime paramilitärische Gruppen“ verwandelt, die sich durch das auszeichneten, was sie eigentlich bekämpfen wollten: "Entführungen, Ermordungen, Drogenhandel, Schutzgelderpressung.“
Das Fazit Héctor Abads: "Wer die Existenz privater Heere erlaubt, auch wenn es sich dabei um Selbstverteidigungsgruppen handelt, lässt ein Ungeheuer wie die Hydra entstehen: Für jedes abgeschlagene Haupt wachsen ihm zwei neue.“
Überwachung im Internet
"Wehrt euch“, forderte Hans Magnus Enzensberger in der FAZ vom Samstag. Und dachte dabei an eine vollkommen pazifistische Bürgerwehr gegen "Ausbeutung und Überwachung“. Zehn Regeln formulierte er. Unter anderem diese:
"Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg.“ "Online-Banking ist ein Segen, aber nur für Geheimdienste und für Kriminelle.“ Und: "Netzwerke wie Facebook nennen sich ´sozial`, obwohl sie ihren Ehrgeiz daransetzen, ihre Kundschaft so asozial wie möglich zu behandeln. Wer solche Freunde haben will, dem ist nicht zu helfen. Wer bereits das Unglück hat, einem solchen Unternehmen anzugehören, der ergreife so schnell wie möglich die Flucht. Das ist gar nicht so einfach. Was ein Krake einmal erbeutet hat, gibt er nie wieder freiwillig her.“
Der oder die Krake wäre ein schöner Kandidat für "Naturkunden“, die von Judith Schalansky herausgegebene und liebevoll gestaltete Reihe im Verlag Matthes & Seitz. Der "Esel“ und die "Krähen“ sind schon jeweils mit einem Buch bedacht worden. Nun sind die Insekten an der Reihe. Der SPIEGEL ist entzückt von Hugh Raffles‘ "Insektopädie“ und von den dort dargestellten Tieren.
"Moralisch kommen Insekten für uns nicht in Betracht“, schreibt der SPIEGEL, um dann die neue Feuilletonwoche damit beginnen zu lassen, wovon die nun endende bestimmt war, dem Kampf: "Wer aber dieses wundersame, großartige Buch gelesen hat, wird die nächste Mücke nicht ohne Andacht töten.“
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