Aus den Feuilletons

Deutschland als Einheit begreifen

04:19 Minuten
Plakat zur deutschen Einheit im Oktober 1989.
Vielleicht helfe gegen die AfD, von Deutschland als Ganzem statt einem geteitem Land zu sprechen, schreibt Simon Strauss in der "FAZ". © imago/Ina Peek
Von Hans von Trotha · 02.09.2019
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Die Feuilletons resümieren den Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Für die "FAZ" hat der Erfolg der AfD auch damit zu tun, dass die etablierten Parteien nicht bereit sind, die Ursachen für das Erstarken der rechten Konkurrenz zu erforschen.
"Ein Delirium: (Doppelpunkt) Reaktionen auf die Landtagswahlen". Das steht nicht nur über dieser Kulturpresseschau, sondern auch über Paul Ingendaays Einlassung zum Thema in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Ingendaay bringt die Lage metaphorisch auf den Punkt:
"Fünf Männer stehen mit nassen Füßen im Keller und sehen, wie Wasser eindringt. Natürlich könnten die Männer Gummistiefel holen, dann blieben sie länger trocken. Aber wer weiß, ob sie sich nicht schon bald Gummianzüge überstreifen müssen, gar Taucherbrillen? Vielleicht wäre es also ratsam, nach der Ursache des Wasserschadens zu forschen. Dazu kann sich aber keiner durchringen."

Deutschlands Einheit betonen

Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen – was die FAZ-Feuilleton-Redaktion anders zu sehen scheint. Sie bringt gleich zwei weitere Texte zum Thema, einen von Simon Strauss, der meint: "Vielleicht muss man gegen die AfD am Ende, wenn alle Mittel versagen, das nationale Argument ins Feld führen. Von Deutschland als ganzem, nicht als geteiltem Land sprechen. In dem niemand alles gutheißen muss, was politisch beschlossen oder gesellschaftlich erlaubt ist. Aber in dem akzeptiert ist, dass über das gestritten wird, was sich ändern soll."
Und ein Interview mit der Autorin Ines Geipel – Zitat: "In der Wahl manifestiert sich ein Trend zum toxisch-braunen Osten."
Dem würden Strauss und Ingendaay womöglich widersprechen. Ingendaay meint:
"Das Ressentiment im Osten als 'typisch östlich' zu denunzieren hilft nicht weiter. Unsere Ressentiments" – da fehlt jetzt vielleicht, dass er uns erklärt, wer wir sind – aber in der FAZ ist das womöglich auch keine Frage – also: "Unsere Ressentiments sind nämlich typisch westlich", so Ingendaay, bevor er sich der Wahl-Berichterstattung widmet. Während er dazu der Karriere der Metapher "klare Kante" über den Fernsehabend hinweg nachgeht, wählen die anderen das Gerede von einer "bürgerliche Koalition" aus AfD und CDU.

Kritik an der MDR-Berichterstattung zur Wahl

"Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat der AfD einen gemütlichen Wahlabend bereitet", finden Elisa Britzelmeier und Laura Hertreiter in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und meinen nicht nur, aber eben auch den Satz von MDR-Moderatorin Wiebke Binder: "Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche, wäre ja theoretisch mit der AfD möglich." Damit habe sie die AfD-Selbstdarstellung von Bürgerlichkeit übernommen, "Punkt für die Rechtspopulisten".
In der taz fragt Peter Weissenburger: "Normalisiert der MDR die AfD?" und konstatiert: "Üblicherweise wird die Partei 'rechtspopulistisch', 'völkisch' oder 'rechtskonservativ' genannt. 'Bürgerlich' hingegen suggeriert eine konservative Ausrichtung und eine Position in der politischen Mitte."
Wenn es denn so einfach wäre.
Wiebke Binder hat sicher nicht geahnt, was sie lostritt, wenn sie mit dem Begriff "bürgerlich" mal eben Schlitten fährt, zum Beispiel bei einem Kenner und Hohepriester des Bildungsbürgerlichen wie Gustav Seibt.
"Was bitte soll an der AfD bürgerlich sein?", fragt der empört und erklärt auf einer SZ-Seite einleuchtend und nachhaltig, was das eigentlich ist, "bürgerlich". Und was nicht. "Dieser Dauerton der Maßlosigkeit" bei der AfD ist, so Seibt, "nicht einfach eine permanente stilistische Entgleisung. Er verweist auf einen unbürgerlichen Kern, nämlich die Verachtung des Individuums."

Böhmermann scheitert an der SPD

Bei alledem sind die Gruppierungen former known as Volksparteien drumherum gekommen, ihre krachenden Abstürze zu bejammern. Schließlich hatten sie längst die Gummianzüge an und haben noch Schlimmeres erwartet.
Wirklich seine Niederlage eingestanden hat nur einer. "Die Lage ist ernst, der Ton ist ernsthaft", berichtet Joachim Huber im TAGESSPIEGEL, er "schaute betroffen", "saß im weißen Hemd vor einer blassroten Wand. Er sah aus wie ein Ex-SPD-Parteivorsitzender."
Und dann das Zitat: "Da gibt es nichts zu beschönigen, der gestrige Tag war ein schwarzer Tag für die deutsche Sozialdemokratie und mich persönlich."
Der das auf Youtube verkündet, ist Jan Böhmermann. "Er habe herausfinden wollen, ob es ein Nicht-SPD-Mitglied ohne Programm, ohne Netzwerk, ohne Mit-Kandidatin schafft, die Voraussetzungen für eine Kandidatur (als SPD-Parteivorsitzender) zu erfüllen. Es habe knapp nicht gereicht."
Aber Kopf hoch: Böhmermann rechnet, wie wir alle, fest "damit, dass spätestens im Frühjahr 2020 eine neue SPD Doppelspitze gesucht und gebraucht werde, dann wird es klappen."
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